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Weltgeschichte

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Kulinarische Stipvisiten sind jetzt sehr en vogue, zum Beispiel fährt man neuerdings besonders gerne in die CSSR essen. Aber als ich dieser Tage bei der Zeitungslektüre zwischen fettgedruckten Anpreisungen, wie )rAustern, stilvoll bei Kerzenlicht und diskreter Bedienung“ oder „Ganz rustikal, mit'm Messer vom Brettl“, klein und unauffällig eine „Information^- und Dinnerreise nach Bangkok“ für ganze 9999 Schilling einschließlich Hin- und Rückflug angekündigt fand, war ich doch etwas erstaunt. Vor allem faszinierte mich der geheimnisvolle Hinweis „Zuschauer im Preis inbegriffen“.

Ich rief also die angegebene Tele-phormmmer an, und als ich gewohnheitsmäßig meinen Namen nannte, sagte eine Stimme am anderen Ende der Leitung: „Du bist's? Hier ist Tschäck.“

Ich fuhr dann auch sofort hin, und es war tatsächlich mein uralter Freund Jack Ottakringer. J. O. ist ein sehr bemerkenswerter Mann. Immer, wenn ich ihn treffe, ist er entweder gerade, auf dem Sprung, Millionär zu werden, oder in ein Konkursverfahren verwickelt, was seine Laune aber auch nicht sehr beeinträchtigt. Ottakringer heißt er seit seiner Geburt, den Jack hat er sich später zugelegt, denn er hat den sechsten Sinn für das Aktuelle. Jetzt trug er außerdem ein zartgrünes Hemd aus thailändischer Reinseide zu uralten Blue jeans mit auf den Knien aufgestickten Initialen, auf dem linken Knie ein J, auf'dem rechten ein O.

„Zeit, daß du dich wieder einmal meldest“, sagte er, „bist du noch immer nichts geworden? Unten steht mein neuer Royce. Wenn du mich sehr bittest, drehe ich nachher mit dir eine Runde. Ich bin zwar sehr beschäftigt, aber wenn man sich nach so langer Zeit wiedersieht, muß man es doch feiern. Übrigens, du kannst für nur 9980 Schilling nach Bangkok mitfliegen. Freunden gegenüber bin ich noch immer großzügig bis zur Selbstaufgabe. Wenn du ein bißchen Werbung für mich machst, kannst du sogar umsonst mitkommen.“

„Ich soll wohl einen begeisterten Artikel über deine Reisen schreiben?“ meinte ich.

„Im Gegenteil“, sagte er selbstgefällig, ,ydu sollst nach der Rück-kehx,eme entsetzte,, wütende Attacke auf mich loslassen, sollst mich einen widerwärtigen Zyniker nennen, der mit den niedrigen Instinkten der Menschen Geschäfte macht, sollst jedem Teilnehmer meiner Dinnerreisen deine tiefe Verachtung ins Gesicht schleudern — so komme ich nämlich am besten an meine Zielgruppe heran. Schlemmerreisen nach Ungarn und in die Slowakei, die jetzt angeboten werden, sind ein kleiner Fisch. Meine Kunden essen — und erleben hautnah den Hunger der Welt.“

„Das verstehe ich nicht“, sagte ich, „und was soll überhaupt der Hinweis bedeuten, daß die Zuschauer im Pauschalpreis inbegriffen sind?“

,fias ist ja der Clou“, sagte Jack, „genau das ist ja der Selling appeal meiner Reisen. Vollfressen können sich die Leute heute überaU. Aber wo kann man heute noch kultiviert speisen, während einem hungrige Menschen mit brennenden Augen durch die Fensterscheibe auf den Teller starren?“

„Das ist doch grauenhaft“, sagte ich leicht erschüttert.

„Richtig“, sagte J. O., „aber gerade das zieht doch die Menschen an. Ich habe viele Jahre nach der Marktlücke gesucht, die mich zum Millionär machen konnte — nicht in Schillingen selbstverständlich, ich rechne am liebsten in Dollars. Vor genau einem Jahr sah ich das Gedränge an einer Unfallstelle. Da hatte ich die Idee.“

„Du führst satten Menschen Verhungernde vor und läßt sie dabei sich den Bauch vollschlagen?“ sagte ich angewidert.

„Wo denkst du hin“, sagte J. O., „das wäre doch unmoralisch und auch gar nicht das, was die Menschen unserer Zeit wollen. Im Pauschalpreis meiner Dinnerreisen ist auch bereits das Bewußtsein enthalten, zur Errettung der Hungernden beigetragen zw haben. Wir lassen nämlich- auf jeder Reise durchsik-kern, daß die Hungrigen, die sich vor den Fenstern der von uns gemieteten Lokale scharen und jeden Bissen zwischen Teller und Mund gierig verfolgen, nachher von den Veranstaltern etwas zu essen bekommen. Damit rekrutieren wir ja auch gleich die notwendigen Zuschauer. Natürlich füttern wir sie nicht zu gut. Das wäre schädlich für den hungrigen Blick.“

„Gibt es wirklich Menschen“, fragte ich, „die sich an der Not anderer weiden und denen dabei das Essen schmeckt?“

„Mehr als genug, um mich zum Millionär zu machen“, sagte er, „vor allem, wenn man ihnen ein gutes Gewissen mitverkauft. Und Hand aufs Herz — macht ein Teil der Massenmedien etwas anderes?“

„Warum“, wollte ich wissen, „wählst du ausgerechnet Bangkok?“

„Die Charterflüge dorthin sind billig“, sagte er, „und die Menschen dort sanft, es ist nicht zu befürchten, daß sie die Fensterscheiben unserer Restaurants einschlagen. Aber ich denke an härtere Touren, etwa in die Sahel-Zone oder nach Bangla Desh.“

„Und das sollen die dortigen Behörden erlauben?“ fragte ich.

„Die füttere ich ja auch“, sagte er, ,,aber mit Dollarscheinen. Dafür werden diese Reisen natürlich viel teurer. Aber ich glaube, der Markt wird bald reif für ein solches Angebot sein.“

„Wie lange bleiben deine Kunden in Bangkok?“ wollte ich wissen.

„Andere Reiseunternehmer“, sagte er, ..bieten für dasselbe Geld ein oder zwei Wochen Aufenthalt, aber meinem Gäste werden vom Flugzeug mit Autos in die betreffenden Restaurants gebracht und fliegen nach dem Dinner sofort wieder ab.“

„Ja, wollen sie denn keine Sehenswürdigkeiten besichtigen“, fragte ich, „fragen sie nicht nach dem thailändischen Nachtleben?“

,,Ihre Sensationen“, sagte Jack Ottakringer, „sind subtilerer Art.“

„Mir ekelt vor dir“, sagte ich, „du bist ein widerwärtiger Zyniker, du schlägst aus der Gemeinheit der Menschen Kapital, statt sie zu bessern, förderst du ihre niedrigsten Instinkte.“

„Großartig“, sagte Jack Ottakringer, ,,ich engagiere dich auf der Stelle als Werbechef!“

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