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In Wien kann seit kurzem kein Aufgebot bestellt und kein Hochzeitstermin festgelegt werden. Es gibt keine Formulare dafür und folglich auch keine Anmeldung zur Hochzeit. Ab 1. Jänner gilt nämlich eine neue Bestimmung, wonach die ' jungen Paare entscheiden können, ob sie den Namen der Frau oder des Mannes annehmen wollen. Klar, daß aus diesem Grund neue Formblätter fällig wurden. Die aber sind halt leider nicht rechtzeitig fertig geworden. Das Seltsame dabei ist, daß auch solche Brautpaare, die bieder und konventionell den „Mädchennamen“ des Mannes annehmen wollen, heimgeschickt werden.

„Die Geburt Ihres Sohnes“, sagte der Standesbeamte trocken, „ist zu verschieben.“

„Aber um Gottes willen...“, stammelte der nun plötzlich nicht mehr ganz so stolze Papa, „das geht doch nicht!“

„Es muß gehen“, sagte der Standesbeamte, „leider sind uns die Geburtsurkunden ausgegangen, ein kleines Malheur im Beschaffungsamt der Gemeinde Wien, ein oder zwei Wochen wird sich Ihre Frau doch noch zurückhalten können!“

„Aber das Kind ist doch schon da!“ rief stolz der arme, frischgebackene Papa.

„Das will ich nicht gehört haben“, sagte der Standesbeamte, „Ihnen ist doch hoffentlich klar, daß ein Mensch ohne Papiere in dieser Stadt nicht herumlaufen darf.“

„Von herumlaufen“, sagte der Vater, „ist doch in diesem Faü wirklich noch keine Rede.“

„Ohne Papiere herumliegen darf schon gar keiner“, sagte der Beamte, „das wäre ja geradezu Vagabundage. Kommen Sie in vier Wochen wieder, vielleicht haben wir dann schon neue Geburtsscheine. Aber daß mir die Geburt des Kindes dann nicht mehr als zwei Wochen zurückliegt, haben Sie mich verstanden? Neugeborene Kinder sind nämlich innerhalb von zwei Wochen standesamtlich anzumelden.“

„Wie soll ich das machen?“ schrie der Vater.

„Schreien Sie hier nicht, Sie befinden sich' in einem Amtsraum“, schrie der Standesbeamte zurück „und wie Sie es machen, geht doch mich nichts an! Behelligen Sie gefälligst nicht eine Behörde mit Ihren Privatproblemen! Wir haben wichtigere Dinge zu tun!“

„Ich will einen Todesfall anmelden“, sagte eine schwarzgekleidete Dame in einem anderen Standesamt.

„Das geht leider nicht“, sagte der Standesbeamte, „denn ab sofort ist das Sterben bewilligungspflichtig.“

„Dann bewilligen Sie meinem Großvater eben das Sterben!“ sagte die Dame.

„Das geht leider auch nicht“, sagte der Standesbeamte, „denn wir haben für diesen Zweck noch keine Formulare.“

„Mein Großvater ist aber heute nacht gestorben!“ sagte die Dame.

„Das ist sofort rückgangig zu machen“, sagte der Standesbeamte, „ich sehe ein, daß derlei nicht so einfach ist, aber Sie werden doch verstehen, daß es noch sehr viel weniger in Frage kommt, eine Amtshandlung ohne die dafür vorgesehenen Formulare durchzuführen!“ *

Auf dem Nachttisch des Obenrvagi-stratsrats läutete das Telephon. Er nahm den Hörer ab. Es war drei Uhr früh.

„Herr Obermagistratsrat“, rief am anderen Ende der Leitung ein aufgeregter Mann, „den Moment ist der Rathausmann auf den Rathausplatz gefallen! Aber Gott sei Dank niemandem auf den Kopf!“

„Der Rathausmann“, sagte der Obersenatsrat schlaftrunken, „kann nicht auf den Rathausplatz gefallen sein. Wissen Sie denn nicht, daß seit dem Einsturz der Reichsbrücke die Vorschrift über die Voranmeldung von derartigen Vorfällen bindend eingeführt wurde?“

,JIerr Obermagistratsrat“, rief der aufgeregter Mann am Telephon, der Rathausmann ist aber trotzdem heruntergefallen, und zwar sind ihm die eisernen Füße durchgerostet, ich habe mir die Bruchstellen genau angesehen.“

„Wenn das möglich wäre“, sagte der Obermagistratsrat, „wären die Monarchisten schuld, weil das Rathaus zu Kaisers Zeiten gebaut wurde, aber zum Glück kann der Rathausmann gar nicht heruntergefallen sein. Oder hat er das Formblatt über die Selbstanzeige rostender Eisenteile ordnungsgemäß ausgefüllt?“

„Nein“, sagte der nun schon weniger aufgeregte Mann am anderen Ende der Leitung.

„Bin ich froh, daß das erledigt ist“, sagte der Obermagistratsrat, knallte den Hörer auf die Gabel und rollte sich wohlig ächzend auf die andere Seite.

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