6811812-1972_38_12.jpg
Digital In Arbeit

Würdige Lebensgefährtinnen

Werbung
Werbung
Werbung

In unserer kommunalen Wohnung gibt es einen Arbeitsgenossen — von ihm kann man nicht sagen, daß er zum Beispiel ein Intelligenzler wäre. Aber er scheint doch etwas zu wissen und manches gelesen zu haben, daher müßte er vollkommen verantwortlich sein für seine Taten. Also dieser Arbeiter P. hat vorigen Herbst geheiratet ein Fräulein namens Verotschka. Sie ist nett, dagegen läßt sich nichts sagen, doch sie hat keine zeitgemäßen Ansichten, sie schwärmt nur für Pelzmäntel und durchsichtige Strümpfe, für hohe Absätze und dergleichen mehr. Wegen dieser Einstellung kleidet sie sich zu unternehmungslustig: zu kurze Röckchen, zu rote Lippen, auch mit den Augen hat sie eine Art Machinatur vorgenommen, die besonderen Glanz und Ausdruck verleihen soll, so daß alle Männer danach streben, ihr näherzukommen.

Als Genosse P. um sie zu werben begann, wird er jedenfalls dies alles in Berechnung gezogen haben, er sah ja, das Fräulein stelle etwas Besonderes vor, ein fremdartiges Element. Er wird an ifir'viel umändern, sie umerziehen müssen, damit sie eine wahre Frau und kein Affe mit Schleifchen im Haar sei.

„Nun — ich bin ja ein richtig-denkender Genosse und werde mit allen Hindernissen fertig werden“ —, so dachte er wohl und heiratete Vera.

Manch einer übte Kritik und meinte, es sei gegen die Ethik, solch eine Modefratze zu heiraten, doch P. verstand es, alle zum Schweigen zu bringen.

„Nach einem halben Jahr“, sagte er, „werde ich sie zu einem Mitarbeiter und zu einer guten Sowjetbürgerin erzogen haben.“

Und gleich nach der Hochzeit begann er damit: „Weshalb leuchten deine Lippen brandrot? Wozu stekken deine Knie aus dem Rock?“ Unter solch moralischem Druck litt Verotschka, doch begann sie unbemerkt sich zu ändern, und nach sechs Monaten ging sie in langem Rock, mit einer Mappe unter dem Arm zur Arbeit, mit einem Wort: P. hatte eine erzieherische Arbeit mit glänzendem Erfolg vollbracht, ein dummes Mädel zu einer würdigen Lebensgefährtin umgewandelt, die mit ihm in gleichem Schritt zu den vorgemerkten Idealen marschierte.

Nur marschierten sie nicht lange miteinander, kaum ein Jahr, dann ließ sich P. von ihr scheiden und heiratete ein anderes Fräulein, das auch kurze Röcke trug und die Lippen ungeheuerlich anmalte sowie die Herzen der Männer mit feurigen Blicken anzulocken suchte. Jedenfalls wird P. geglaubt haben, auch aus diesem Weibsbild einen nützlichen Menschen machen zu können.

Ob ihn die neue bevorstehende Erziehung angelockt haben mag? Das kann nur die Zukunft weisen. Und wenn ihm solches gelingt, ob er sich auf die Suche nach einem neuen Erziehungsobjekt begeben wird? Diese Fragen interessieren alle Einwohner der kommunalen Wohnung und müssen vorläufig unbeantwortet bleiben...

Aus dem Russischen von O. Sachowa

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung