Nehammer und die Armut
DISKURSOh, wie schön ist AMS-Land
Auch vom AMS alimentierte Arbeits-Unwillige bekamen in Bundeskanzler Karl Nehammers Vinothek-Rede ihr Fett ab. Aber wie gut lebt es sich als Arbeitsloser in Österreich wirklich?
Auch vom AMS alimentierte Arbeits-Unwillige bekamen in Bundeskanzler Karl Nehammers Vinothek-Rede ihr Fett ab. Aber wie gut lebt es sich als Arbeitsloser in Österreich wirklich?
Es war einmal eine Zeit, da war Vollbeschäftigung das erklärte Ziel der Politik und das Nicht-Erreichen dieses Ziels ein Armutszeugnis für ebendiese. Das war einmal. Heute haben sich die Verantwortlichkeiten umgedreht. Heute ist Arbeitslosigkeit und die Verantwortung dafür zum Großteil individualisiert. Der märchenhafte Einstieg ins Thema passt trotzdem, denn auch Bundeskanzler Karl Nehammer folgte in seinem vorige Woche publik gewordenen Vinothek-Vortrag zu Armut und Arbeitsmarkt dem Grimm‘schen Erzählmuster: Es gibt die Fleißigen und die Faulen, oder wie Kanzler Nehammer sagte: „Wir haben die Unwilligen und wir haben die, mit denen hast als Unternehmer keine Freude.“ Der Arbeitsmarkt geteilt in Goldmarie und Pechmarie, oder in Kanzlers Worten: „Dann schickt dir das AMS vier Haberer, die nicht arbeiten wollen …“
Einer, der diese „Haberer“ aus vielen persönlichen Treffen und Gesprächen kennt, ist Christian Winkler. Der Mühlviertler leitet die Bischöfliche Arbeitslosenstiftung in Oberösterreich. „Die Verantwortung der Politik, die strukturellen Probleme der Arbeitslosigkeit zu lösen und nicht nach der individuellen Schuld von Arbeitslosen zu suchen, hat sich im Vergleich zu den 1970er- und 80er-Jahren total gewandelt“, kommentiert er den Meinungswechsel. Für ihn ein Beleg, wie sehr sich neoliberale Denkmuster in den Köpfen „eingenistet“ und das Menschenbild verändert haben: „Heute unterstellt man Arbeitslosen eher Arbeitsunwilligkeit, bevor man auf die Bedingungen schaut.“
Für sein Arbeitsumfeld lässt Walter Ettl das nicht gelten. Seit 30 Jahren leitet er einen Spengler-, Glaser-, Dachdecker-Betrieb im Salzburger Pinzgau und seine Erfahrungen mit Arbeitssuchenden, die ihm vom Arbeitsmarktservice (AMS) geschickt werden, decken sich mit denen des Kanzlers: „90 Prozent wollen nur eine Bestätigung, dass sie zur Vorstellung bei mir waren.“ Daraufhin stellt Ettl die oft gehörte Gleichung auf: „Da gibt es soundso viele Arbeitslose, aber obwohl ich weit über Kollektivvertrag bezahle, finde ich keine Leute. Fachkräfte sowieso nicht, aber auch keine Helfer.“ Die Forderung, die der Handwerksmeister daraus zieht, war auch aus Nehammers Vinothek-Publikum zu hören: Mehr Sanktionen, oder wie Ettl sagt: „Ich wäre da lange schon viel strenger!“
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