Die Insel gefunden - und das Meer dazu

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Keine Anthologie mit religiösen Gedichten, die auf Silja Walter verzichten möchte. Die Schweizer Verlegerstochter wird 80 - und lebt seit 51 Jahren als Benediktinerin im Kloster Fahr.

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Keine Anthologie mit religiösen Gedichten, die auf Silja Walter verzichten möchte. Die Schweizer Verlegerstochter wird 80 - und lebt seit 51 Jahren als Benediktinerin im Kloster Fahr.

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Lieber nicht von Gott reden als in der alten, verdreschten, verbrauchten Sprache. Diesen Satz sagte Schwester Maria Hedwig OSB im Benediktinerinnenkloster Fahr bei Unterengstringen im Jahr 1982, lange bevor die Kritik an der kirchlichen Sprache allenthalben laut geworden und bis heute nicht verstummt ist. Damals, im November 1982, fand in diesem Kloster ein inzwischen legendär gewordenes Gespräch statt. Der linksengagierte Schriftsteller Otto F. Walter traf auf Initiative eines Radioredakteurs des Schweizer Rundfunks nach zwanzig Jahren Trennung ... oder waren es dreißig? seine Schwester mit bürgerlichem Namen Cecile Walter, genannt Silja.

Nach diesem 1983 unter dem Titel "Eine Insel finden" auch gedruckt veröffentlichten Dialog der schreibenden Geschwister, die auf so unterschiedlichen Wegen aus dem gemeinsamen Elternhaus in Rickenbach bei Olten, einer Verlegerfamilie mit acht Töchtern und dem spätgeborenen Sohn, in die Welt und in den Hinterhof der Welt aufgebrochen waren, ist der Name Silja Walter im deutschen Sprachraum ein Begriff. Keine Anthologie mit neuen religiösen Gedichten, die in den 80er Jahren auf Beiträge von Silja Walter verzichten mochte. Vorher war sie nur in kirchlichen Insider-Kreisen bekannt, als Autorin von neuen Mysterienspielen und anderen anlaßbezogenen Texten für den kirchlichen und religiösen Gebrauch. Gedichte aber hat sie schon seit früher Jugend geschrieben, aus dem Volkslied und aus unserer Kindheitswelt schöpfende Verse, anrührend und ehrlich, den geliebten Romantikern verpflichtet, bald aber gebrochen durch die existentielle Frage nach Weg und Reise ihres Lebens.

Mein kleiner weißer Hund und ich, Wir gehn durch alle Türen.

Wir suchen dich. Wir suchen mich.

Wir weinen und wir frieren.

1948 ist sie ins Kloster eingetreten, folgend dem Ruf über den Fluß herüber bis zu mir her ... Das war unter einem riesigen Kastanienbaum voller Blütenkerzen, morgens um acht. Ich trug einen weiß und rot geblümten weiten Rock. So hat mich das Andere angetroffen und mitgenommen ... Das Andere ist nämlich jemand. Dort, im Kloster Fahr, an dem Fluß Limmat, lebt sie nunmehr seit 51 Jahren, gehalten vom dreifarbenen Webmuster der benediktinischen Regel: Gebet rot, Arbeit blau, Lesung gelb.

Für den Bruder Otto war der Klostereintritt gerade jener Schwester, mit der er zeitlebens ein gutes, ja herzliches Verhältnis hatte, ein Schock. Ich hatte das Gefühl, jemand der mir sehr nahesteht, verreise in eine ganz andere Welt. In dieser ganz anderen Welt bestimmte von nun an der Abt von Einsiedeln, welchen Anteil Schwester Maria Hedwig als Silja Walter an der öffentlichen Wahrnehmung haben durfte. Den Gehorsam dem Abt gegenüber hat sie aber nie in Frage gestellt. Auch nicht in den Jahren ihrer größten Bekanntheit.

Eine ferne Stimme In letzter Zeit ist es wieder stiller geworden um sie. Jetzt, zum 80. Geburtstag am 23. April, ist das Lesebuch "Die Fähre legt sich hin am Strand", liebevoll zusammengestellt von der Zürcher Literaturkritikerin Klara Obermüller. Der Klappentext lädt ein zum Entdecken oder Wiederentdecken einer fernen Stimme. In dieser Auswahl aus dem Gesamtwerk Silja Walters, vor allem Lyrik und wenige Prosasequenzen, finden sich nur vier Gedichte aus den letzten drei Jahren. Zweifellos ist die Lyrik der bleibende Teil ihres Schaffens. Ein erstveröffentlichtes Gedicht aus dem Jahr 1950 hat dieser Sammlung den Titel gegeben und findet sich darin - zu Recht - gleich zweimal.

In das Lesebuch ist dankenswerter- weise auch die Wiederveröffentlichung des Gesprächs mit ihrem - inzwischen verstorbenen - Bruder aufgenommen worden. Erstaunlicherweise hat dieses Gespräch in den inzwischen vergangenen 16 Jahren nichts von seiner Überzeugungskraft verloren, ja manche Frage ist sogar noch dringlicher geworden angesichts des zunehmenden Sprachverlusts auf beiden Seiten.

Auf der Seite jener, die, wie Otto F. Walter, sich vom religiösen Milieu völlig gelöst haben, von Gott nicht mehr reden mögen, weil die autoritäre und patriarchalische Art des Christentums ihnen jeden Zugang verstellt; und auf der Seite jener, die, wie Silja Walter, den Eindruck haben, ich müsse melden. Und ich muß melden, denn ich habe etwas entdeckt ... nicht das Kloster Fahr als Raum, nein, vielmehr das Phänomen "Gott und das Menschsein in diesem Raum drin" ... So gesehen gehört das Melden wie das Atmen und Lachen, Schlafen und Essen zu den Notwendigkeiten meines Lebens. Nun ist sie mit dem Gefühl des Melden-Müssens gewiß nicht allein, aber wie schwer es ist, die Sprache zu finden, in der es als Meldung auch ankommt, das zeigt die beängstigende Verkümmerung religiöser Lyrik, die auch literarischen Kriterien standhält.

Frucht der Begegnung mit ihrem Bruder war für Silja Walter der ebenfalls in das Lesebuch aufgenommene Gedichtband "Die Feuertaube. Neue Gedichte. Für meinen Bruder", erschienen 1985 in der Neuen Arche Bücherei. Diese und das Dutzend Gedichte "Keine Meßgebete" (durch das Nonnenklischee voreingenommene Leser mögen hier einen Druckfehler vermuten), entstanden bereits um 1970, gehören für mich zu den stärksten Äußerungen der Dichterin, fern von gebundenem Rhythmus und Reim, aber von ungeglätteter nüchterner Trunkenheit, die zuerst durchs Herz ging, durchs Blut. Während der Bruder sein Schreiben aus einer Erfahrung der Unheilswelt speist, bleibt diese Unheilswelt weitgehend draußen aus dem Dahinter der Welt seiner Schwester. Er attestiert ihr aber die glaubwürdige Wiedergabe dieser Erfahrung mit dem Göttlichen.

Doch diese Erfahrung hat sich bereits in "Keine Meßgebete" aller Affirmationen herkömmlicher gläubiger Praxis entkleidet und ist nackt geworden wie Franziskus. Ein Anderer legt ihr schließlich den bergenden Mantel um (... nicht beten ... nie mehr / ich bin nämlich gestorben /... es ist aus / mit dem Beten / etwas ganz anderes ist / dein immer / Türauf / und /Hereinkommen).

Liebevolles Annnehmen des ganz anderen Weges des Bruders, unaufdringliches Begleiten und doch auch stille Besorgtheit (Ich muß dich doch / heimtragen / über den Fluß) ist in den Gedichten der "Feuertaube" zu spüren. Und wiederholtes Befragen des eigenen spirituellen Weges. Und als Antwort darauf das bezeugende Mit-Teilen einer durchaus mystischen Erfahrung, bedingungslos, hemmungslos, kompromißlos: ...

und täglich spring ich hinein in die Todesangst meiner Geburt ...

Im Anschluß an die Begegnung im November 1982 tauschen die Geschwister zwei Briefe aus, in denen sie das inzwischen gesendete Gespräch noch einmal reflektieren und auf eine Drucklegung hin ergänzen. Auch diese zwei Briefe sind in dem Lesebuch veröffentlicht. Da schreibt Silja Walter am Schluß ihres Briefes: Ich vermute, Du verstehst es, daß ich hier die Insel gefunden habe und das Meer dazu. Und sicher ahnst Du, daß einer diese Insel und dieses Meer nie nur für sich alleine findet. Das ist es, was mich zutiefst glücklich macht, wenn ich ... an Dich denke.

Buchtip: Silja Walter: Die Fähre legt sich hin am Strand. Ein Lesebuch.

Hg. von Klara Obermüller. Arche Verlag, Zürich 1999. 239 Seiten, geb. öS 278, Silja Walter: Die Fähre Die Fähre Legt sich hin am Strand.

Das Drahtseil ist zerrissen.

Ich hab das leere Stroh vom Rand der Brücke kehren müssen.

Das Wasser schiebt sich in den Rhein.

Die jungen Pferde traben, um vor dem Fluß am Meer zu sein.

Wo soll ich hin?

Was haben?

Die Winde laufen auch zum Meer Da will mich Gott anblicken.

Da wird die Welt wie Stroh so leer Und Fluß und Fähre nicken.

1950

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