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Wirtschaftskommentar

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Oie deutsche Bundesregierung ist verpflichtet, in jedem Jahr bis zum 30. September dem Parlament einen Sozialbericht vorzulegen. In diesem lahr handelt es sich um den neunten Bericht seit der Rentenrelorm von 1957.

Das Bruttosozialprodukt als der umfassendste Ausdruck der wirtschaftlichen Leisfungsfähigkeif konnte 1965 um nominal 8,5 Prozent auf 448 Milliarden D-Mark vergrößert werden. Der Zuwachs war niedriger als im vorangegangenen Jahr (9,6 Prozent). Deutlicher als im Rückgang der Wachstumsrafe des nominalen Bruttosozialprodukts drückte sich die Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums in der Verringerung der Zuwachsraten des realen, das heifjt, in Preisen des Jahres 1954 berechneten, Sozialprodukts aus. Das in sogenannten konstanten Preisen errech- nete Bruttosozialprodukt wuchs 1965 um 4,5 Prozent, während es im Jahre 1964 noch um den bemerkenswert hohen Satz von 6,6 Prozent gestiegen war. Trotz dieser sichtlichen Abschwächung war das reale Wachstum des Sozialprodukts im Jahre 1965 stärker als in den Jahren 1963 (3,5 Prozent) und 1962 (4,1 Prozent). Der Anstieg des Preisindex des Bruttosozialprodukts war anderseits im Berichtsjahr mif 3,8 Prozent stärker als in den beiden Vorjahren, in denen der Index um jeweils knapp 3 Prozent gestiegen war.

Die gesamtwirtschaftliche Produktivität, die ebenfalls im Sozialbericht darzustellen ist, hat im letzten Jahr eine Zunahme um 3,8 Prozent zu verzeichnen. Dieser Wert entspricht dem durchschnittlichen Produktivitätszuwachs der Jahre 1961 bis 1963. Gegenüber dem Jahre 1964, als eine Erhöhung um 6,3 Prozent erzielt wurde, hat sich die gesamtwirtschaftliche Produkfivifät jedoch verlangsamt.

Das bundesdeutsche Volkseinkommen — die Summe aller Lei- sfungseinkommen — setzte im Berichtsjahr 1965 sein seit Jahren anhaltendes Wachstum fort. Mif einem Wert von 341,8 Milliarden D-Mark lag es im Jahre 1965 um 8 Prozent über dem Wert des Vorjahres und um fast 50 Prozent über dem des Jahres 1960.

Wegen der erneuten Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen im Berichtsjahr konnte jedoch das auf den einzelnen Erwerbstätigen entfallende Volkseinkommen nicht im gleichen Ausmaß wachsen wie das Volkseinkommen selbst. Das Volkseinkommen je Erwerbstätigen stieg im Jahre 1965 um 7,2 Prozent auf 12.579 D-Mark. Seit 1960 ist das Volkseinkommen je Erwerbstätigen um 44 Prozent gewachsen.

Der Preisindex für die Lebenshaltung eines Vier-Personen-Arbeit- nehmer-Haushaltes erhöhte sich gegenüber 1964 um 3,4 Prozent. Im Vorjahr war der Index nur um 2,3 Prozent gestiegen. Die Lohnbewegungen hielten auch im Jahre 1965 an. Die tariflichen Sfundenlöhne lagen im Jahresdurchschnitt 1965 um 7,7 Prozent über ihrem Vorjahreswert, die tariflichen Wochenlöhne um 6,9 Prozent und die tariflichen Monatsgehälter um 6,5 Prozent (Bundesgebiet ohne Berlin). Die entsprechenden Zunahmen betrugen im Vorjahr 6,7 Prozent beziehungsweise 5 Prozent beziehungsweise 4,6 Prozent. Die effektiven Lohn- und Gehalfssteigerungen kommen in einer Zunahme der Bruttolohn- und -gehaltssumme von

183.4 Milliarden D-Mark im Jahre

1964 auf 202,7 Milliarden D-Mark — das ist eine Erhöhung um 10,5 Prozent — zum Ausdruck. Da sich die Zahl der abhängig Beschäftigten gegenüber dem Vorjahr nur um

1.4 Prozent erhöhte, geht der erheblich stärkere Zuwachs der Bruttalohn- und -gehaltssumme auch im Jahre

1965 wiederum auf höhere Entgelte durch tarifliche und übertarifliche Lohn- und Gehaltserhöhungen sowie auf erhöhte Qualifikation der Arbeitskräfte und damit verbundene Ver- dienstsfeigerungen zurück.

Finanzlage der bundesdeutschen Rentenversicherungen: Die Einnahmen in den Rentenversicherungen stiegen von 31,333 Milliarden D-Mark im Jahre 1964 auf 34,665 Milliarden D-Mark im Jahre 1965 und werden

1966 voraussichtlich 37.670 Milliarden D-Mark betragen. Auf der Einnahmeseite sind im Berichtsjahr 1964 die Beitragseinnahmen in der Rentenversicherung der Arbeiter um 10,2 Prozent und in der Angestelltenversicherung um 14,9 Prozent gestiegen. In dem starken Anstieg von 1964 auf 1965 in der Angestellfenver- sicherung zeigen sich die ersten Auswirkungen der Heraufsetzung der Versicherungspflichtgrenze für Angestellte von 1250 D-Mark im Monat auf 1800 D-Mark im Monat.

Die Ausgaben nahmen zu von 29.053 Milliarden D-Mark im Jahre 1964 auf 32,748 Milliarden D-Mark im Jahre 1965. Sie werden 1966 voraussichtlich 36,140 Milliarden D-Mark ausmachen.

Die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik ist seit Mitte 1965 in eine Phase der Beruhigung eingetreten. Bei weiterhin abnehmender Investitionsneigung und verlangsamter Verbrauchsgüferkonjunktur zeichnet sich ein Nachlassen der konjunkturellen Spannungen ab. Auch auf dem Arbeitsmarkf hat sich der Engpaß nicht weiter verstärkt. Anderseit gehen von der lebhafteren Weltkonjunktur Wachstumsimpulse aus. Dia weiterhin und auf hohem Niveau wachsende Auslandsnachfrage eröffnet die Möglichkeit einer guten Ex- portkonjunkfur. Das insgesamt zu beobachtende Nachlassen der Auftriebskräfte hat seif der Jahresmitte auch auf die Preisentwicklung übergegriffen. Die Investitionstätigkeit wird geringer zunehmen als im Vorjahr. Da für das laufende Jahr nur mit einer Zunahme der Erwerbstätigenzahl von 50.000 und für das Jahr

1967 nur noch mit einem Zuwachs von 20.000 Erwerbstätigen gerechnet werden kann, wird allein aus diesem Grunde der Spielraum für das weitere Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik gering bleiben. Stärker als je zuvor wird daher das künftige wirtschaftliche Wachstum von der Steigerung der Produkfivifät abhängen.

Für die Beurteilung der Frage, ob zwischen einer Anpassung der laufenden Renten und der Geldleistungen der Unfallversicherung und den Zielsetzungen der Wirtschaftspolifk im weitesten Sinne ein Einklang besteht, ist neben der voraussichtlichen Konjunktursituation im Zeitpunkt der Anpassung vor allem Höhe und Art der Verwendung der zusätzlichen Sozialleistungen von Bedeutung. Eine Anpassung der laufenden Renten an die allgemeine Bemessungsgrundlage des Jahres 1966 und der vorn Jahres- arbeifsverdienst abhängigen Geldleistungen der Unfallversicherung an die Entwicklung der durchschnittlichen Bruttolohn- und -gehaltssumme von 1964 auf 1965, mit Wirkung vom 1. Jänner 1967 an, würde einen Jahres- befrag von 2081 Millionen D-Mark erfordern. Aus zahlungstechnischen Gründen, die vor allem durch das Anpassungsverfahren begründet sind, käme die erste volle Monatsrate der Anpassung Ende Februar für März 1967 zur Auszahlung.

Hach eingehender Beratung schlägt die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften vor, in der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten und der knappschaftlichen Rentenversicherung die am 1. Jänner 1967 laufenden Renten, bei denen der Versicherungsfall im Jahre 1965 oder früher eingetreten ist — unter Beachtung der in den Rentenversicherungsgesetzen enthaltenen Ausnahmeregelungen —, für die Bezugszeit ab 1. Jänner 1967 der allgemeinen Bemessungsgrundlage für 1966 anzupassen und damit um 8 Prozent zu erhöhen und in der gesetzlichen Unfallversicherung die vom Jahresarbeitsverdienst abhängigen Geldleistungen für Unfälle, die im Jahre 1964 oder früher eingetreten sind, für Bezugszeifen ab 1. Jänner 1967 der Entwicklung der durchschnittlichen Bruttolohn- und -gehaltssumme von 1964 auf 1965 anzupassen.

Die Verwirklichung des Anpassungsvorschlages erfordert Mehrausgaben von 2,081 Milliarden D-Mark im Jahr.

(Nach „Sozialpolitische Rundschau“, Bonn.)

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