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Fahrschulwesen: Neue Grundlage

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Nicht nur die Prüfiungsmethoden beim Führerscheinerwerb, die ganze Ausbildung der Fahrschüler dürfte bisher bei uns ohne Übertreibung als veraltet angesehen werden, stammen sie doch aus einer Zeit, in der nicht nur die Motorfahrzeuge so ganz anders ausgesehen haben als die jetzigen, in der sich aber auch der Verkehr wesentlich anders abgespielt hat. In der letzten Zeit sind die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge und die Beschleunigungszeiten bedeutend gestiegen, die Lenkungen wurden präziser, die Bremsen verbessert, die Reaktion eines Fahrzeuges auf die Betätigung des Gaspedales oder des Schalthebels hat sich gewandelt, die Automobile sind im besten Sinne des Wortes „nervöser“ geworden, also feinfühliger, sie reagieren leichter, was gewiß ein Vorteil für den routinierten Autofahrer, aber eine Erschwernis für Lehrer und Schüler bei der Ausbildung ist. Dazu kommt, daß die bisherige Schulung der Kandidaten ganz auf die Prüfungserfor- demisse abgestellt war, aber wann hat ein Schüler schon zum Beispiel das richtige Überholen bei höherer Geschwindigkeit auf Freilandstraßen gelernt, wann ist er bei Nacht, im starken Regen, bei Nebel usw., lange genug gefahren?

Immer häufiger wurde daher das Verlangen laut, daß man auch außergewöhnliche Situationen für die Ausbildung heranziehen sollte. Man hat sich im Fachverband der Fahrschulen lange mit dem Problem befaßt, und nun ist es endlich so weit, daß bei uns das Fahrschulwesen auf eine ganz neue Grundlage gestellt wird. Bisher hat sich der Prüfling nur beim theoretischen Stoff ein Bild darüber machen können, was er alles zu erlernen hat, er brauchte nur die Lehrbehelfe über die mündlichen Prüfungsfragen durchzublättern. Bei der praktischen Ausbildung aber wußte er nicht, was er alles kennen und können muß. Wenn ein Fahrlehrer etwa auf irgendeine Phase der Ausbildung vergaß, was bei vielen, auf einen Lehrer entfallenden Schülern durchaus einmal vorkommen konnte, und wenn er dem Kandidaten nach einigen Lektionen nichts Neues mehr sagte und zeigte, dann komjte es vorkommen, daß ein Prüfling durchfiel, weil in diesem oder jenem Punkt zuwenig geübt oder eine Phase im Lehrstoff einfach vergessen wurde.

Nunmehr wird die praktische Ausbildung auf Grund eines schriftlich festgelegten, wohldurchdachten Planes in Form von genau formulierten Lektionen vorgenommen werden: Der Lehrer bekommt ein Ringbuch, in welchem die einzelnen Lektionen vorgeschrieben sind, er hat sie dem Schüler vor Beginn der Übung vorzulesen, um ihn auch geistig vorzubereiten. Ab nun weiß der Schüler, was ihm alles auch in der Praxis bevorsteht. Die Lektionen beginnen damit, daß sich der Schüler noch vor dem Einstieg in den Wagen mit dem Abstand zu anderen Fahrzeugen, mit der Stellung der Vorderräder usw. zu befassen hat. Dann hat er die richtige Sitzposition durch Verstellen der Sitze zu suchen und den Rückspiegel für beste Sicht einzustellen. Kein Lehrer darf mit einer späteren Lektion beginnen, bevor er die vorhergehende nicht als erlernt auf einer den Namen des Schülers und das Verzeichnis der Lektionen tragenden Schulungskarte abgezeichnet hat. Das hat für Schüler, Lehrer und Fahrschulinhaber Vorteile: Es gibt Lernende, die aus Zeitmangel unregelmäßig zur Lektion kommen. Wie soll sich der Lehner erinnern, was der Schüler schon kann? Jedesmal muß er sich erst mühsam an die Kenntnisse seines Schülers herantasten. Oder aber ein Lehrer wird krank, geht auf Urlaub. Jetzt genügt ein Blick auf die Kontrollkarte, und der neue Mann kann genau dort fortsetzten, wo der Vorgänger geendet. hat.

Diese nach langjähriger Vorbereitung erarbeitete Methode wird erstmalig in Europa angewendet. Wie Kammerrat Carl Rainer in einer Pressekonferenz in den Räumen der Bundeskammer der Gewerblichen Wirtschaft erwähnte, ist die Tatsache besonders erfreulich, daß der neue Plan begeisterte Zustimmung des überwiegenden Teiles der Fahrschulen nind der Fahrlehrer gefunden hat. Die Lehrerausbildung wird in Kursen mit Hilfe von Filmen und Diapositiven, welche die Vorträge unterstützen, durchgeführt, und bis Ende dieses Jahres werden 95 Prozent der Lehrerschaft entsprechend ausgebildet sein.

Klugerweise hat man den Lehrplan in Ringbuchform angelegt, denn die Väter der neuen Idee sind sich dessen bewußt, daß sich im Laufe der Praxis diese oder jene Lektion als verbesserungswürdig erweisen, daß sie sich durch Modernisierung des Wagenmaterials, der Lehrfahrzeuge, ändern wird. Am neuen Lehrplan haben nicht nur Praktiker aus den Kreisen der Fahrschulen und Fahrlehrer gearbeitet, es wurden auch Verkehrspsychologen vom KfV. (Kuratorium für Verkehrssicherheit) herangezogen, und so darf man mit Recht annehmen, daß der neue Lehrplan, von der praktischen, der pädagogischen und von der psychologischen Seite her koordiniert und mit ihm ein Werk geschaffen wurde, welches sich zum Vorteil der Schüler, der Lehrer und der Fahrschulinhaber, vor allem aber im Interesse der Hebung der Verkehrssicherheit und der Reduktion der Straßenunfälle auswirken wird. Das Schlußwort in der erwähnten Pressekonferenz der Bundeskammer hielt der Generalsekretär des ÖAMTC und Geschäftsführer des KfV., Dipl.-Ing. B. Coreth, der die Bedeutung der neuen Lehrmethode hervorhob und den Wunsch aussprach, sie möge sich günstig auf das Verkehrsgeschehen in unserem Lande auswirken.

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