André Breton - © Foto: gemeinfrei (Bildbearbeitung. Furche)

Wie André Breton den schwarzen Humor erfand

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André Breton, der „Papst des Surrealismus“, veröffentlichte seine „Anthologie des Schwarzen Humors“ mitten im Krieg. Sie lehrt uns, warum man gerade in den dunkelsten Stunden lachen sollte.

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André Breton, der „Papst des Surrealismus“, veröffentlichte seine „Anthologie des Schwarzen Humors“ mitten im Krieg. Sie lehrt uns, warum man gerade in den dunkelsten Stunden lachen sollte.

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Paris, 10. Juni 1940: Der französische Schriftsteller André Breton hat es nach langen Aus­einandersetzungen mit Verlegern geschafft, seine „Anthologie des Schwarzen Humors“ zu veröffentlichen. Doch die Stadt ist in Aufruhr. Die Franzosen versuchen mit letzter Kraft Hitlers Truppen abzuwehren. Nur wenige Tage später, am 16. Juni 1940, geschieht das Unfassbare: Die Franzosen müssen kapitulieren, Hitler bringt Nord- und Westfrankreich unter seine Kontrolle. Das Vichy-Regime ist geboren. Der Anti­nationalist und Antiimperialist Breton veröffentlichte seine Anthologie also zum ungünstigsten Zeitpunkt. Sie wird vom Regime sofort verboten. Und so hat die Entstehungsgeschichte der Anthologie, dieser düster-witzigen Geschichten, schon selbst etwas von einer schwarzen Komödie.

Nachdem Breton, mittellos und frischgebackener Vater, seine ganze Kraft aufgewendet hat, um sein Werk zu veröffentlichen, bringt es ihm nun kein Geld. Die Deutschen ahnten, welche Sprengkraft Bretons Werk haben könnte, würde man es, wie den Geist aus der Flasche, in Umlauf bringen.

Schreiben im Schweinestall

Obwohl Breton mit seinem „Manifest des Surrealismus“, das heuer sein Hundert-Jahr-Jubiläum feiert, sowie seinen Romanen „Nadja“ und „L’Amour fou“ berühmt wurde, sah er seine „Anthologie des Schwarzen Humors“ als sein eigentliches Hauptwerk an. Bretons Sammlung zele­briert den Humor im Angesicht von Angst und Verzweiflung. Inmitten des Ersten Weltkriegs entstehen Gedanken zum „schwarzen“ Lachen als Waffe gegen die Obrigkeit. Seine frühesten Überlegungen zu dieser radikalen Form des Humors teilte Breton mit einem Freund, den er im Lazarett kennengelernt hatte: dem Soldaten, Exzentriker und Mitbegründer des Surrealismus, Jacques Vaché. 1914 bei seinem ersten Militärdienst verwundet, wird Vaché ins Krankenhaus in der Rue du Bocage in Nantes eingeliefert. Dort freundet er sich mit André Breton an, der als Assistenzarzt arbeitet und ihn versorgt. 1916 kehrt Vaché an die Front zurück, doch bleibt mit Breton über Briefe eng verbunden. In den nach seinem Tod veröffentlichten „Kriegsbriefen“ entsteht die Idee des schwarzen Humors.

„Lieber Freund, ich schreibe Ihnen aus einem Ex-Dorf, aus einem sehr engen Schweinestall, der mit Decken ausgeschlagen ist“, so beginnt Vaché einen seiner Briefe. In ebendiesem Brief liefert Vaché, wie Breton selbst sagt, eine erste Formulierung des schwarzen Humors als „Gefühl der theatralischen und freudlosen Sinnlosigkeit von allem“. Freudlos sinnlos muss sich Vaché im Schweinestall selbst gefühlt haben. Und so versucht der Lebenstrieb von Breton und Vaché mit der bizarren Realität des Krieges umzugehen, lange bevor der Surrealismus einen Namen hatte und programmatisch wurde.

Für Breton ist schwarzer Humor das Gegenteil von Heiterkeit, Witz oder Sarkasmus. Es ist eine teils makabre, teils ironische und häufig absurde Wendung der Ereignisse, die einen „souveränen Aufstand des Verstandes auslöst“. Dabei bezog sich Breton auf Freuds Werk „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“. Freud bezeichnet Humor als die Rache des Lustprinzips: „Er ermöglicht die Befriedigung eines Triebes (eines lüsternen und feindseligen) gegen ein im Weg stehendes Hindernis, er umgeht dieses Hindernis und schöpft somit Lust aus einer durch das Hindernis unzugänglich gewordenen Lustquelle.“ Als Beispiel führte Freud die letzten Worte eines zum Tode Verurteilten an, der an einem Montag, als er zum Galgen schreitet, sagt: „Na, diese Woche fängt gut an!“

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