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Die Mutter schreiht...
Manchmal, scheint es, vergißt Du das wohl: Es hat angefangen, daß ich für Dich dagewesen bin, ich allein mit Leib und Seele, Tag und Nacht. Zur selben Zeit war das andere und alles in Dir noch ungewiß; ob Du leben würdest, ob Du werden würdest, wie Du nun bist, stark und gut, voller Ja und Nein — und so recht vergessen oft des liebenden Ursprungs, wie Deine Geschwister sind ...
Es ist schön, daß Du kommst. Und der Tag hat ja Stunden viele, die ich mir ins Herz zählen kann, wo das andere alles beisammen liegt; die Kinderbriefe — weißt Du es noch? Euer guter Wille von klein auf. Ach, ich will schon zufrieden sein, wenn Ihr das seid an dem einen Tag. Es braucht kein Fest zu sein. Das hätte nicht Platz in dem kleinen Raum, und ich weiß nicht, ob es uns anstehen möchte. — Heute weinen ebensoviel, wie sich freuen an dem Tagt Der Krieg ist noch lange nicht aus: das ist nicht Frieden, wo solche Grenzen sind, zwischen Kindern und Müttern, die nicht zueinander können! Wo die Großen nicht sehen, wie Herzen entzweigerissen sind von so Unzähligen. — Der junge Bub, dem ich den Brief hier übergebe (Du kennst ihn nicht, er dient bei der Post), der arme Kerl in seinem blauen Zeug, er sitzt allein da und hat die Mutter fünf Jahre nicht gesehen. Sie darf nicht fort aus ihrem Land. So sind sie beide im Elend. — Siehst Du, daß es kein Frieden ist! Hat der Krieg einen schlimmeren Tod gehabt, weil er lauter war als nun das langsame Sterbenlassen?
Drum kann es auch kein Fest werden. Ich müßte an ihn denken, in seinem schäbigen blauen Rock. Ihm kann niemand die Mutter ersetzen, nicht mit schönstem Kuchen und Kaffee ... Wenn Du weißt, was ich meine und wenn Du so bist wie früher auch, dann bringst Du den alten Rock mit, den Du vom Vater hast. Es ist ein guter Stoff von Friedenszeit, und ich mag es nicht ansehen, daß er im Kasten hängt. —
Niemand flickt dem Buben sein Gewand. — Ich habe Dir ein nagelneues, leinernes Hemd genäht, das bekommst Du dafür.
Mir sollst Du nichts mitbringen, keine teuren Geschenke. Nimm Deine Geige mit, wenn es Dir nicht zu mühsam ist. Ich war so froh und stolz auf Dich, wie Du sie zum erstenmal hieltest, und der Vater sagte, daß es gut sei. Verstehst Du das? — Oder spielst Du sie nicht mehr? Du warst mir so lieb damit.
Es war Deine Kindergeige. Bitte, vergiß sie nicht--
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