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Bauspekulanten am ölberg

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Jerusalem, im Jänner Der Stadtrat der arabischen Altstadt Jerusalems hat beschlossen, von der Regierung des Königreiches Jordanien die Aufhebung der Bauverbote zu verlangen, die von der englischen Mandatsverwaltung seinerzeit für den „östlichen Grüngürtel“ Jerusalems erlassen worden waren. In gemeinverständliche Sprache übersetzt, heißt dies, daß die Hänge des ölberges der Bauspekulation der Effen-dis freigegeben werden sollen.

Schon der erste englische Ver-bauuungsplan Jerusalems unter dem Gouverneur Sir Ronald Storrs erklärte das Stadtgebiet östlich der Altstadtmauer, das Kidrontal und die Hänge des ölbergmassivs, als eine Sperrzone, in der Neubauten nur mit besonderer Bewilligung höchster Instanz gestattet waren. Sir Ronald Storrs ging damals so weit, sogar der Errichtung einer neuen großen Kirche im Gethsemanegarten die Baubewilligung zu verweigern. Es bedurfte des ganzen Einflusses der mächtigen • Franziskanerkustodie des Heiligen Landes, um diesen Bau durchzusetzen, von dem noch heute viele der Ansicht sind, daß er besser unterblieben wäre. Das Bauverbot für den ölberg wurde jedenfalls in jeden weiteren Verbauungs-plan Jerusalems übernommen. Der einzige Neubau in fast einem Vierteljahrhundert war das kleine tschechische Kloster, das sich mit seinen Rotziegeldächern der Landschaft vollkommen einfügt. Als während des zweiten Weltkrieges der Plan bestand, auf dem Westhang des ölberges ein kleines Villenviertel zu errichten, war trotz der Weltlage die internationale Opposition so stark, daß um die Baubewilligung nicht einmal angesucht wurde.

Derart blieb die Landschaft im Osten Jerusalems von der gewaltigen Baubewegung der letzten Jahrzehnte unberührt. Die gerundete Gipfelreihe des ölbergmassivs ist in rhythmischer Abfolge vom englischen Kriegerfriedhof gekrönt, von den Bauten der hebräischen Universität, die sich der Landschaft besser einfügen als die wilhelminische Ritterburg des „Augusta-Victoria-Hospizes“, dem Kloster „Viti Galiläi“ und endlich dem Dörfchen auf dem Hauptgipfel,über dem sich der hohe russische Turm und das Minarett der Himmelfahrtsmoschee als Wahrzeichen Jerusalems erheben. Den Abhang bedecken schüttere Olivenhaine, die im Süden von den uralten jüdischen Friedhöfen begrenzt sind. Im Kidrontal liegen die Gärten von Gethsemane, den Katholiken und Orthodoxen geheiligt, die halb unterirdische Grabkirche Mariens, die Steinigungsstätte St. Stephans, inmitten der ölgärten des griechischen Patriarchen.

Diese wahrhaft geheiligte Landschaft war bisher strenge vor jedem Zugriff der Bauspekulation geschützt. Das wird sich sehr schnell ändern, sobald der Bann gebrochen, die erste Baubewilligung für den ölberg erteilt worden ist.

Um ihr Projekt schmackhafter zu machen, empfiehlt die Stadtverwaltung des arabischen Jerusalem zunächst die Aufhebung des Bauverbotes für die „jüdischen Terrains“, das heißt für jene Gebiete, die nach dem englischen Ver-bauungsplan für die Parkanlagen der hebräischen Universität und als Reserven der jüdischen Friedhöfe vorgesehen waren. Es ist klar, daß es dabei nicht bleiben wird, wenn das Prinzip der Bausperre für den ölberg einmal durchbrochen ist.

Daß Jordanien sich bereit finden wird, das Bauverbot aufzuheben, ist aus verschiedenen Gründen wahrscheinlich: die Tendenz, Jerusalem zur zweiten Hauptstadt des haschemitischen Königreiches des Jordan zu erklären, führt zur Begünstigung von Bauvorhaben im allgemeinen. Die Terrains, welche in Frage kommen, gehören Effendis der Mufticlique, dem griechischen Patriarchat und dem Staat. Es wird der Regierung ebenso angenehm sein, der Muftiopposition „unpolitische“ Gefälligkeiten zu erweisen, wie es ihr erwünscht ist, der haschemiten-treuen orthodoxen Kirche und selbst aus dieser Riesenparzellierung für die geldbedürftige Staatskasse Nutzen zu ziehen.

Es bedarf gewiß keiner Erklärung, daß der ölberg als Landschaftsbild ebenso den Schutz der heiligen Stätten verdient wie nur irgendeine der Kirchen in seinem Umkreis. Der Anschlag, diese wahrhaft „heilige Landschaft“ (um einen Begriff Strzygowskis zu gebrauchen) zu zerstören, ist mitten im zweiten Weltkrieg gescheitert. Es bleibt abzuwarten, ob heute, inmitten neuer politischer Wirren, das christliche Weltgewissen noch einmal diese Landschaft des Evangeliums schützen wird. Wenn der internationale Protest diesmal ausbleibt, wird es in ein paar Monaten zu spät sein: eine Neustadt von Betonkuben, pseudoamerikanisch ohne europäische Aufsicht zusammengeschleudert, wird dann bald die ölhaine verschlungen haben, durch die jetzt der Pilger von Gethsemane zur Kuppe der Himmelfahrt hinansteigt.

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