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Zwischen Nepp und Qualität

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Eine wahre Inflation an mehr oder weniger spezialisierten Kinderhotels machen dem Urlauber die Wahl schwer.

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Eine wahre Inflation an mehr oder weniger spezialisierten Kinderhotels machen dem Urlauber die Wahl schwer.

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och ein Jahr danach kommt Alice Pitzinger in Rage: „Wir haben uns geneppt gefühlt", ^1 schäumt die Mutter 1 dreier Kinder, wenn sie an den letzten Familienurlaub zurückdenkt. „Aufgeräumt wurde prinzipiell dann, wenn die Kinder schliefen, das Zusatzbett stand vor dem Klo, statt einem eigenen Seezugang wurden wir ins öffentliche Bad geschickt und der Kindertante mußte ich ständig auf die Finger schauen". Pitzinger ist vielleicht besonders anspruchsvoll. Pikant an ihren Erlebnissen ist dennoch mehrerlei.

Nicht nur, daß ihr damaliges Urlaubshotel, das Erlebnisklubhotel am Faakersee, nicht irgendein Hotel ist, sondern eines der teuersten Kinderhotels Österreichs, in dem die Halbpension in der Hauptsaison zwischen 1.100 und 1.600 Schilling kostet (Kinder bis drei logieren gratis). Dessen Eigentümer, Gerhard Stroitz, ist zudem auch Geschäftsführer des Vereins „Kinderhotels Österreich", dem größten überregionalen Zusammenschluß derartiger Spezialangebote in Österreich.

Pech für Stroitz: auch Pitzinger war nicht irgendein Urlaubsgast. Sie ist Obfrau des Familienbundes Österreich, des Familienverbandes der ÖVP. Ihr natürlich überall weitererzähltes Resümee zum Thema Kinderhotels: „Anfangs haben wir uns vom Familienbund über die Angebote für Famihen gefreut - aber mittlerweile springen zu viele Hoteliers auf den Zug auf, die nur schnell Geld machen wollen."

Stroitz kann naturgemäß Pitzingers Erlebnisse in seinem eigenen Hotel kaum nachvollziehen: „Das

war ein Einzelfall, wir haben zu 90 Prozent zufriedene Gäste." Und -fairerweise angemerkt - seine Hotelgemeinschaft ist an sich die höchstwertige in Österreich: Als einzige garantieren etwa die „Kinderhotels" tatsächlich an fünf Tagen der Woche eine jeweils siebenstün-dige und im Arrangement inbegriffene Kinderbetreuung durch Fachkräfte.

Doch auch Stroitz beklagt die inflationären Tendenzen im Bereich der Kinderhotels: „Jeder Betriebsberater empfiehlt zur Zeit einem maroden Betrieb, ein Kinderhotel daraus zu machen." Sabine Neumann, Pressebetreuerin bei der Internationalen Tourismus-Börse in Berhn Ende März, der größten ihrer Art, stellt fest: „Kaum sonst wird in der Reisebranche so viel Etikettenschwindel betrieben, wie bei angeblich kinderfreundlichen Arrangements."

Weil im überbesetzten Beherbergungs-Angebot kaum mehr ein Bett ohne Zusatznutzen zu verkaufen ist, spezialisieren sich immer mehr Betriebe auf bestimmte Kundengruppen, Golfer, Tennisspieler - oder Famihen. In jedem Bundesland bildeten sich Marketinggemeinschaften von gleichgesinnten Hotels, die „Fa-mihennester" etwa in der Steiermark, der „Familien-Klub" in Vorarlberg. Mindestens 25 verschiedene derartige Verbände gibt es im kinderfreundlichen Kärnten. Kein Wunder: das wirtschafthche Potential gerade im Famihentourismus wird immer höher eingeschätzt. Klaus Lukas, der Chef der Österreich-Werbung: „38 Prozent der Sprößlinge nehmen Einfluß auf die Urlaubsentscheidung, ab elf Jahren wird sie sogar dominant." Auch zu Stroitz' Verein „Kinderhotels", er ist als einziger der vielen Kinder-Vereinigungen in jedem Bundesland vertreten, meldeten sich alleine 1993 30 neue Beherbergungsbetriebe - obwohl die Mitgliedschaft für ein 100-Bettenhotel im ersten Jahr bereits 150.000 Schilling kostet.

Doch es wäre kein Boom, hätte er nicht auch kleine Haken für Konsumenten - so wie die Bio-Welle, die mit einer Flut von grün verbrämten Produkten die Auswahl für den wirklich ökologisch denkenden Konsumenten zum Detektivspiel machte. Die offensichtlich beliebte Thematik Kinder verführte einige Hoteliers dazu, die Abstellkammer zum Spielzimmer umzufunktionieren, oder den Marktplatz der Gemeinde als Spielplatz ins Hotelprospekt zu rücken (Hotel Alte Post in Großarl, Salzburg), oder ein gerade zwei Wochen lang gültiges Angebot als „Kostenloses Skifahren für Skizwerge" im Ortskatalog zu propagieren (Imst, Tirol).

DIE PFUCHTPUNKTE

Potentielle Familienurlauber sollten sich daher vor einer Buchung nach dem Kriterienkatalog erkundigen, den die jeweilige Werbegemeinschaft für ihre Mitgliedshotels quasi als Mindeststandard aufgelegt hat. Ein Babypaket, vom Topf bis zum Babyphon, sollte Selbstverständlichkeit sein. Von jedem Verkehr abgetrennte Spielplätze, organisierte Freizeitangebote und eine ausreichende Ausrüstung an Spielgerät sind weitere Pflichtpunkte. Nicht jede dieser Gruppen wird bei ihrer Kriteriengestaltimg soweit gehen wie die „Kinderhotels" von Stroitz, die für den gemeinsam produzierten Katalog 1994 sogar sechs Betriebe „karenzierten", weil sie den immer strenger werdenden Anforderungen nicht mehr entsprachen.

Die exzessive Ausrichtung auf Kinder schafft allerdings andere Probleme: Familienurlaube in dieser Kategorie haben dann nichts mehr mit billigen Sozialangeboten zu tun. Was vermutlich auch zu den eingangs erwähnten Mißverständnissen geführt hat. Sensibilisiert durch die Versprechungen und den oft hohen Preis der wirklichen Kinderhotels -bedingt vor allem durch das teure Personal zur Kinderbetreuung -nehmen die Kunden jeden kleinsten Bluff sofort übel.

Kinderlobbyistin Pitzinger stören sogar die bei Familienhotels oft verlangten Anzahlungen in der Höhe von mehreren tausend Schilling. Und zwar aus dem gleichen Grund, warum sie die Hotehers fordern. Denn das Risiko, daß Familien mit mehreren Kindern ausfallen, ist nun einmal größer als bei berechenbaren Seniorenpaaren.

Vor allem, fordert Pitzinger, sollten diese auf Kinder spezialisierten Hotels nicht in Werbegruppen verschiedener Thematik Mitghed sein. Golfer oder Reiter und Familien haben stellenweise ganz andere Vorstellungen von der Urlaubsatmosphäre. Dennoch sind auch die Hälfte aller „Kihderhotels" in mehreren Angebotsgruppen Mitglied.

Daß daneben auch betriebsvnrt-schaftlich gesehen etwa Manager und Familien nicht einfach unter einen Hut gebracht werden können, zeigte vor kurzem Robert Rogners Feriendorf in Litschau im Waldviertel: Die Strategie, die Appartements aus Mangel an Auslastung an beide Gruppen zu vermieten, mußte nach einer katastrophalen Saison im Vorjahr ganz schnell wieder aufgegeben werden.

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