Hochachtung vor dem Banalen

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Im Wiener Museum Moderner Kunst bietet eine Ausstellung einen Einblick in die Kunstrichtung des Super- oder Hyperrealismus. Eine Schule der Aufmerksamkeit, die zeigt, dass vieles noch genauer zu sehen ist als in unserer alltäglichen Wahrnehmung.

Das Bemühen, die Wirklichkeit so zu fassen zu bekommen, wie sie wirklich ist, begleitet die Menschheit seit man unsere Spezies als Mensch bezeichnen kann. Seit damals geben wir uns in immer wieder neuen Anläufen diesem Unterfangen hin. Und immer wieder haben die Menschen die Kunst als eine äußerst wirksame Apparatur vor ihre unmittelbaren körperlichen Aufnahmefähigkeiten gestellt, um so der ersehnten Wirklichkeit näher zu sein. Im Laufe dieser Hetzjagd auf die Wirklichkeit ist aber klar geworden, dass wir sie uns immer zurechtrichten, dass die Wirklichkeit als fixes und fertiges Wahrnehmungsfeld gar nicht existiert, und dass wir sie genauso wie die Natur zu einem nicht unerheblichen Teil mithilfe von Kunst und Wissenschaft erfinden. Und weil wir in der Übertreibung immer klarer sehen können, begannen einige US-amerikanische Kunstschaffende zu Beginn der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, die Wirklichkeit zu überbieten, indem sie einen Super- oder einen Hyperrealismus auf die Leinwand zauberten.

Besessenes Sehen

Wie die aktuelle Ausstellung im Museum Moderner Kunst in Wien zeigt, hat dieser malerisch überzogene Umgang mit der Wirklichkeit - die bei diesen Arbeiten zumeist in einer Art fotografischem Schnappschuss gefasst erscheint - mehrere Gesichter. Wie in der Tradition der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, wo es auch für einzelne Themen Spezialisten gab, kennt der Hyperrealismus auch seine ausgewiesenen Fans von Autos, Reklametafeln, Landschaftsstücken oder Riesenportraits.

Diese Zusammenfassung von unterschiedlichen malerischen Interessen zu einer mit einem bestimmten Namen gekennzeichneten Richtung ist zwar wie bei allen derartigen Fällen mit einigen Ungenauigkeiten konfrontiert, nichtsdestotrotz vereint die meisten dieser Kunstschaffenden "ein besessenes Sehen, das jedes Staubkorn wahrnimmt", wie es Jean-Christophe Ammann ausdrückt, der bei der documenta 5 im Jahr 1972 für den Ausstellungsteil "Realismus" verantwortlich zeichnete. Die Produkte dieses "besessenen Sehens" zeugen einerseits von Akribie, vielleicht sogar Pedanterie, andererseits aber auch von einer Hochachtung gegenüber dem Banalen, dem Alltäglichen, gegenüber all dem, das Otto Normalverbraucher leicht zu übersehen geneigt ist. Insofern bietet der Hyperrealismus eine hervorragende Aufmerksamkeitsschule, weil vieles noch genauer zu sehen ist als bei unseren alltäglichen Wahrnehmungsprozessen.

Wie bei den Niederländern des 17. Jahrhunderts sind auch viele Hyperrealisten dem Trompe-l'?il, der Augentäuschung, verpflichtet. Das gemalte Ding soll "wie echt" aussehen, sagt dann die landläufige Meinung. Paul Sarkisian, der in der Schau mit einer Ansicht der Vorderfront einer Hütte beinahe in Originalgröße vertreten ist, beschreibt jedoch das wirkliche Ziel dieses Als-ob: "Wenn das Bild abgeschlossen ist, verschwindet der Malereiaspekt. Es ist kein Gemälde mehr, es ist Realität. Die Malerei vollendet sich im Verschwinden des Bildes."

Die Fotovorlagen, die die Maler des Hyperrealismus bei der Herstellung ihrer Riesengemälde verwenden, können sich prinzipiell auch dieser Ablöse verschreiben, bei der ein Stück Kunst, das bloß auf Wirklichkeit verweist, zu einem Stück Kunst wird, das selbst schlichtweg Wirklichkeit ist. Dies gilt allerdings erst für Arbeiten jüngeren Datums, bei denen die Fotografie auf die technischen Möglichkeiten für derartig große Formate zurückgreifen kann, sodass allein schon von der Größe her die Betrachter nicht mehr vor dem Bild stehen, sondern von diesem Bild quasi umgeben werden. Dann erfüllt sich dieser eigentümliche Status der Bilder, dass sie die kleine Welt im Großen sichtbar machen und gleichzeitig versuchen, selbst als Bild unsichtbar zu werden, um Teil der Wirklichkeit zu werden und vielleicht irgendwann einmal bei der wirklichen Wirklichkeit anzukommen.

Hyper Real. Die Passion des Realen in Malerei und Fotografie

Museum Moderner Kunst

Museumsplatz 1, 1070 Wien

bis 13. 2. 2011, Mo-So 10-18, Do bis 21 Uhr

Katalog: Hyper Real. Köln 2010, 404 S.,e 38,-

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