Immer steckt etwas anderes dahinter

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Andrej Blatnik legt in seinem Band "Der Tag, an dem Tito starb" Kurztexte und Erzählungen vor, mit denen er viele Formen versucht, aber das Vertrauen des Lesers verliert.

Kein Buch für frisch Verliebte, Optimisten, Romantiker oder allgemein hoffnungsfrohe Menschen. Andrej Blatniks Erzählungen sind ziemlich illusionslos. Wobei der Untertitel "Erzählungen" für die vorliegende Sammlung etwas unverfroren ist - finden sich darin doch auch minimalistische Skizzen von nicht mehr als einer Seite oder gar nur ein Titel und ein einziger Satz.

Eine echte Erzählung ist aber ohne Zweifel der gelungenste Text des Bandes: "Der Geschmack des Blutes". Zu Beginn ein Bild wie aus dem Fernsehkrimi - eine Frauenleiche, ertrunken, "die von den Dorfburschen aus dem Wasser gezogen und an der Straße abgelegt worden war, {...} von nassem Heidekraut bedeckt. Die Menschen standen still um sie herum und sahen zu, wie die Wassertropfen langsam über die Pflanzen krochen und am Ende, einer nach dem andern, auf den Asphalt fielen."

Die Polizei kommt, die Umstehenden zerstreuen sich. Am Rande der Szene eine junge Frau, Katarina, gelockt vom Raunen der Menge; als Komponistin elektronischer Musik sucht sie manisch nach Klängen. Der ältere Polizist verwickelt sie in ein Gespräch, er erinnert sie an ihren Vater, sie lässt sich von ihm nach Hause bringen, der jüngere Polizist kommt nach, die beiden vergewaltigen Katarina, die von Anfang an wusste, dass es passieren wird.

Völlig passiv

Die Erzählung ist grausam und sie ist prototypisch - Blatniks Figuren wissen, wie ihnen geschieht, sie sehen sich zu, sie sehen andern zu, und sie sind völlig passiv. Was sie steuert, ist nicht fassbar und liegt auch außerhalb des Rahmens der jeweiligen Erzählung. Tonlos und farblos sind die Protagonisten. "Ich höre meine Stimme: Sie klingt dünn, papieren." Das sagt ein männliches Ich in der Erzählung "Genaugenommen". Seine Freundin will, dass er mit ihr unter Menschen geht. Während sie spricht, schreibt er mit. Er schreibt sie ab, schreibt sich ab, schreibt ihrer beider Leben ab, weil er Stoff braucht für seine literarischen Fiktionen - ein Nullsummenspiel, am Ende taugt keines von beiden mehr etwas, das zum Schreiben missbrauchte Leben nicht und nicht die schmarotzende Literatur. Trostlos.

Immer wieder spielt Musik in den Texten eine zentrale Rolle - sie ist die Gegenwelt, das schlechthin Andere: Emotion, Ausdruck, Timbre. Roman, der Ich-Erzähler in "Kratzer auf dem Rücken", liebt zum Beispiel seine Schallplattensammlung. Eines Tages steht Diana vor der Tür. Sie ist die Frau eines Kollegen, der vor Jahren das Architekturbüro verlassen hat, in die Einöde gezogen und allgemein als Spinner in Erinnerung geblieben ist. Diana zieht bei Roman ein ohne zu fragen, und er wehrt sich nicht. Sie hat eine desaströse Art seine Platten aufzulegen, zerkratzt sie dabei mit ihren Nägeln. So macht sie das auch mit seiner Haut, wenn sie miteinander schlafen, was irgendwann ebenso ungewollt passiert wie alles andere. Roman verliert seinen Job, weil er sich nicht mehr konzentrieren kann. Seinen Platz nimmt Dianas Mann ein, der sich in der Einöde vernetzt hat und Geld braucht für seinen Computer, in den er alle Namen Gottes eingeben will. Letztlich macht niemand irgendetwas um einer Sache selbst willen: "Immer steckt etwas anderes dahinter." Was, das will von niemandem in Blatniks Kosmos gewusst werden.

Der slowenische Autor (Jahrgang 1963) will viel, weshalb er hie und da vor Hybris nicht gefeit ist. So versteigt er sich in "Izak" zu einer im Holocaust situierten Parabel über nichts Geringeres als den Widerstreit von Schicksal und Selbstbestimmtheit, die in ihrer vollmundig wuchtigen Art unangenehm und vermessen wirkt. Blatnik versucht auch viel - von der klassischen Short-Story-Form über krimiähnliche Settings bis zu Skizzen, die wie die Verschriftlichung einer Kameraeinstellung wirken. Was bei all diesen Genre-Übungen allerdings verloren geht, ist das Vertrauen des Lesers. Manche der Texte langweilen schlichtweg, wirken wie selbstverliebte intellektuelle Spielereien, voller Bedeutungen, mit denen ewig schwanger gegangen wird, anstatt die eine oder andere auch einmal auf die Welt zu bringen.

Der Tag, an dem Tito starb

Und andere Erzählungen. Von Andrej Blatnik. Aus dem Slow. von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, Wien/Bozen 2005

129 Seiten, geb., e 18,50

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