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Der 20. Juli 1944 in Wien

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Die „Walküre”-Befehle waren also auch an die Ersatzdivisionen in den einzelnen, dem Wehrkreis angehörenden Reichsgaue hinausgegangen. Für Wien konnte nach der Festnahme der wichtigsten Funktionäre von Partei und SS, die jetzt in den einzelnen Dienstzimmern des Wehrkreiskommandos mit zögernder Nervosität der Entwicklung entgegensahen, der nächste Schlag vorbereitet werden: die Verhaftung der verschiedenen Parteifunktionäre im Gaubereich. Diese Aufgabe übernahm der Stadtkommandant von Wien, General Sinzinger, der — nach Kodrė — mit einem zugeteilten Offizier die Befehle auszuführen begann. Nach dem Kaltenbrunner-Bericht hätte er den Wiener Polizeipräsidenten Gotz- mann entwaffnet, während Szokoll Gotzmanns Verhaftung in das Wehrkreisgebäude verlegt und meint, Quer- ner und Gotzmann hätten sich bereit erklärt, an die Seite der neuen Machthaber zu treten. Der Kaltenbrunner- Bericht hat Bormann am 30. Juli die Rolle Sinzingers, der übrigens in den Augen Schirachs dann einer der Sündenböcke werden sollte, folgendermaßen geschildert:

,.Generalleutnant Sinzinger hatte, wie sich herausstellte, von General von Esebeck die strikte Weisung erhalten, die in der Deoesche der Putschisten angeordneten Festnahmen und Sicherungsmaßnahmen sofort durchzuführen und jeden Widerstand mit Waffengewalt zu brechen. Sinzinger war eröffnet worden, daß es sich um eine durchaus legale Aktion handle und die Wehrmacht hinter dem Führer stehe. Die Fernschreiben selbst hat Sinzinger nicht zu Gesicht bekommen. Sinzinger ist Parteigenosse von 1924 und hat sich als Mitbegründer des NS-Soldatenrin- ges 1936 bedeutende Verdienste um die nationalsozialistische Bewegung in den Alpen- und Donaugauen erworben ..

Die Nervosität steigt

Während diese Maßnahmen jiefqh,. erschien ein Oberst des Generalstabes der Luftwaffe, der sich von Kodrė die Fernschreiben geben ließ und zunächst mit den brüsken Worten ,,Was ist denn hier los?” den Raum des Stabschefs des Wehrkreiskommandos betrat. Ohne jede Äußerung oder Kontaktaufnahme entfernte sich schließlich der Luftwaffenoffizier, der, wie sich Kodrė zu erinnern glaubt, der Chef des Generalstabes des Luftgaukommandos war: ein bemerkenswertes Zeichen, wie wenig die Koordination der Wehrmachtsteile funktionierte. Stauffenberg und seine Mitarbeiter dagegen hatten die Wirksamkeit einer selbständigen Luftwaffe und ihrer Kommandobehörden für den Ernstfall nicht richtig eingeplant.

Die Nervosität stieg. Nach Bollham- mers Bericht kam es zu mehreren Aussprachen zwischen Querner, Scharizer und Esebeck. Scharizer bat dringlich um eine Aussprache mit dem stellvertretenden kommandierenden General und versicherte, „wenn dies nicht möglich sei, geschehe ein Unglück . Diese Äußerung veranlaßte den Oberstleutnant V e i t h, wohl über Befehl Esebecks, dem stellvertretenden Gauleiter in Gegenwart Bollhammers seine Pistole abzunehmen. In diese verworrene Situation kam knaop nach 20 Uhr das Fernschreiben über die Einsetzung politischer Beauftragter bzw. Unterbeauftragter. Die darin genannten Nament Seitz. R either, Rehrl, Mörl ließen — laut Kodrė — den Eindruck entstehen, daß es sich hier um eine politische

Aktion handle, die kaum durch einen Putsch der Partei erklärt werden konnte. Nach einer Rücksprache mit Esebeck befahl der General Scharizer zu sich und sprach mit ihm über die politische Vergangenheit der in dem Fernschreiben genannten Personen. Kodrė bestand auf der Durchführung der Befehle, um so mehr, als — laut Boll- hammer — Esebeck wieder versicherte, die Meldung über den Tod Hitlers sei durchaus richtig. (Esebeck stützte sich auf das .Fernschreiben, gezeichnet von Witzleben und abgesetzt in der Bendler- straße um 20 Uhr 25 laut Anlage 4 zum Kaltenbrunner-Bericht vom 27. Juli 1944.)

Die Situation wird unübersichtlich Trotz der Zweifel, die sich nun bereits einzuschleichen begannen, bleiben Esebeck und Kodrė fest. Wie Bollham- mer berichtet, äußerte sich Kodrė zum kommandierenden General, „man solle alle verhaften”. Der kommandierende General wieder versicherte dem Gaupropagandaleiter, daß Hitler tot sei. Frauenfeld dagegen beharrte bei seiner Meinung: „Herr Oberst, das ist bestimmt nicht richtig. Der Führer lebt, das fühlt man.”

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