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Die Wahrheit über Montecassino

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Montecassino, im Mai

Das Echo einer absurden Polemik um ein Bühnenwerk des deutschen Verfassers Egon F r i Iz V i e 11 a, in dem die Frage nach der Verantwortlichkeit für die Zerstörung der ehrwürdigsten Abtei der Christenheit gestreift wird, ist bis hier herauf gedrungen, wo sich aus Schutt und Trümmern die Grundmauern einer neuen Heimstätte für die Mönche des hl. Benedikt zu erheben beginnen. In einer der Zellen des Neugebäudes ist alles zusammengetragen, was zur Dokumenlierung der tragischen Tage dienen kann, als in einer Apotheose der Selbstvernichtung, im Blitz und Rauch der Fliegerbomben, der abendländische Kulturwille zu erlöschen schien, über Zeitungsausschnitte, Photographien, schriftliche Zeugnisse von Priestern und Laien hat sich weißer Staub gelegt, aber als der Blick der Besucher darüber hinwegwandern will, wischt der Mönch mit der Hand über Bilder und Zettel.

.Am 15. Februar 1944, genau um 9.45 Uhr, begann die Bombardierung und dauerte bis zum späten Nachmittag fort. Die Amerikaner hatten vorher viele Flugzettel geworfen, wie Sie einen hier sehen, die uns zeigten, daß sie über die Anwesenheit deutscher Soldaten und Waffen in der Abtei falsch unterrichtet worden waren. Amicus, Plato, sed magis amica veritas; ich muß es immer wieder sagen: Kein Deutscher befand sich vor der Zerstörung von Montecassino innerhalb der Mauern dieserAbtei. Von uns Mönchen waren nur zehn zurückgeblieben; wir beteten vor den Gräbern des Benediktus und der Scholastika in der Krypta. Aber über uns, in der Basilika, hatte sich viel Volk aus Cassino zusammengefunden, die Leute glaubten, eine sichere Zuflucht gefunden zu haben. 230 von ihnen wurden getötet.“

Für die Mönche hier oben gibt es keine „Montecassino-Frage“. Die Zeitschrift „Benedicta“ hat jetzt die seinerzeit als vertraulich betrachtete Erklärung des verehrten Abtes Diamare veröffentlicht, die dieser seinem Mitbruder Don T o-maso Leccisotti hinterließ, damit niemals die historische Wahrheil über den Untergang des Klosters verwischt werden könne. Abt Diamare überlebte die Zerstörung seiner Wirkungsstätte nur um wenige Monate. Es sind italienische, amerikanische, französische Zeugnisse, die hier angesammelt sind, es fehlen noch die englischen und deutschen. So bringt die in New York erscheinende Zeituag „II Crociato“ am 7. Jänner 1950 .eine Veröffentlichung des Obersten Francis A. Markoe, der dem Stabe des Generals Clark angehört hatte: „Die Bombardierung von Montecassino war nicht nur militärisch unnötig, sondern für den alliierten Feldzug schädlich. Abgesehen davon, daß ein schönes christliches Heiligtum in eine Ruine verwandelt wurde, gab man den Deutschen auch Gelegenheit, die Abtei zu besetzen, sich dort zu verschanzen und von dieser Stellung aus den Vormarsch der Alliierten aufzuhalten. Es ist nicht richtig,-daß der Befehl zur Eröffnung des Feuers von Clark gegeben wurde; der Befehl kam von höchster Stelle, und zwar entgegen der von meinem General vorgebrachten Auffassung. Er kam von englischer Seite, vom General Freyberg, der seine Order wieder direkt von Churchill erhielt.“

Der neuseeländische General Freyberg kommandierte ein Korps, das aus einer Division Neuseeländer und einer Division Inder bestand. Es liegt ein weiteres unanfechtbares Zeugnis von französischer Seite vor, nämlich das des Generals J u i n, der das französische Expeditionskorps befehligte und an den Diskussionen teilnahm, die sich im Hauptquartier abspielten, bevor die 229 Bomber ausgeschickt wurden, um in mehrfachen Wellen 453 Tonnen Sprengstoff über der Basilika des hl. Benedikt abzuwerfen. Die Erklärungen des Generals Juin stimmen mit der Veröffentlichung des amerikanischen Stabsoffiziers völlig überein. Sie erschienen im „Mer-cure de France“ und lauten wörtlich:

„General Freyberg, völlig durchdrungen vom Wert der taktischen Prinzipien der 8. Armee, wie sie in Libyen und in Tunesien erprobt worden waren, war vollkommen davon überzeugt, daß man das Vorgehen durdi einen zusammengefaßten Angriff beschleunigen könne. Diesem Angriff müßte eine summarische Vorbereitung vorausgehen, an der das ganze Gamma der Feuerwaffen und alle Kräfte der strategischen Luftwaffe, teilzunehmen hatten. Das bedeutete die vorbedachte Vernichtung der Abtei. Die Ansicht fand ihre Rechtfertigung darin, daß die gesuchte Wirkung der Neutralisierung tatsächlich erreicht werde. Ein solcher Vorsatz mußte General Clark abstoßen. Nach langen Diskussionen gab General Clark der Meinung des Generals Freyberg nach, aber sehr gegen seinen eigenen Wunsch, dies kann ich bezeugen. Ich wohnte von meinen Stellungen aus dem schrecklichsten „bombing“ bei, das man sich vorstellen kann. Die Wucht und die Präzision der Einschläge war derart, daß die unglückliche Abtei in einer dicken Rauchwolke verschwand, die sich gegen den Himmel erhob und dann verbreiterte wie der Atombomben-Champignon von Bikini. Das Ergebnis war, daß die Inder, die man vorsichtshalber zurückgenommen hatte, um einen weiteren Sicherheitsradius zu schaffen, nachher nicht einmal die vordem besetzten Stellungen und Gräben wieder einnehmen konnten, weil diese sofort vom Feinde okkupiert worden waren..Die Vorbereitung großen Stils hatte nur dazu gedient, das Kloster zu zerstören und Terrain zu verlieren.“

Der Mönch führt die Besucher in eine unterirdische Mauerhöhle, wo ein deutscher Soldat gehaust haben mag, nachdem mit der Zerstörung von Montecassino jeder Grund weggefallen war, die Besetzung des Hügels zu verbieten. Der „unbekannte Künstler“ hinterließ, im Mauermörtel eingeritzt, eine satirische Zeichnung, die vielleicht einmal historische Bedeutung erlangen mag: in der Ebene sitzt Churchill mit böser Miene und vier, fünf Flugzeugen am Bande, während oben auf den Trümmern von Montecassino ein Deutscher triumphierend ruft: „Danke, Herr Churchill!“

Die Bewohner von Cassino sind fest davon überzeugt, daß die Amerikaner, als sie auf englischen Wunsch die Abtei bombardierten, einen eigenen Spezial-sprengstoff gebrauchten. Den Anlaß zu diesem durch nichts erwiesenen Gerücht bietet vielleicht eine Marmortafel, die heute in Montecassino angebracht ist und den wahrhaft denkwürdigen Bericht wiedergibt, den der englische General Maitland Wilson vor den versammelten Chefs des Oberkommandos über den Feldzug vom 8. Jänner bis 10. Mai 1944 gab:

„One hundred and forty-two fortress bombers dropped 287 tons of 5001b. general purpose bombs and 66 K tons of 1001b. in-cendiaries. Followed by 47 B — 25's and 40 B — 26s which dropped another 100 tons of h. e. (high explosive!) bombs...'

„142 Fliegende Festungen warfen 287 Tonnen Sprengbomben zu je 500 Pfund und 68} Tonnen Brandbomben zu je 100 Pfund ab. Sie waren gefolgt von 47 Bombern des Typs 25 und 40 Bombern des Typs 26, welche weitere 100 Tonnen hochexplosiver Bomben fallen ließen .. .

Viermal in seiner 1400 Jahre zählenden Geschichte ist Montecassino zerstört worden, einmal, im Jahre 1349, durch ein Erdbeben, dreimal durch „Ausländer“: durch die Langobarden .bald nach dem Tode des hl. Benedikt, durch die Sarazenen im 9. Jahrhundert, zum Schluß durch Engländer und Amerikaner. Immer waren es Italiener, die die Abtei wieder aufbauten, prächtiger und größer als zuvor. Aber es steht außer Zweifel, daß dieser letzte Wiederaufbau der langwierigste und schwierigste werden wird. Der Gesamtkostenvoranschlag beläuft sich auf 4,5 Milliarden Lire, bis heute sind genau 882 Millionen ausgegeben worden. In drei Jahren wurde bloß ein Viertel der Gesamtarbeit vollbracht, obwohl ständig dreihundert Arbeiter beschäftigt sind, übrigens hat Osterreich an diesem Wiederaufbau einen, wenn auch nur ganz beiläufigen Anteil. Er ist nämlich dem österreichischen Honorargeneralkonsul in Rom, G r a m a z i o, anvertraut worden, der in seinem eigentlichen Beruf Bauindustrieller ist.

Die Mittel für den Wiederaufbau von Montecassino werden fast ausschließlich von Italien aufgebracht. Als der amerikanische Botschafter D u n n im vergangenen Jahr die Abtei besuchte, überreichte ihm der junge Abt Ildefonso R e a ein Memorandum, in dem an das Versprechen Roosevelts erinnert wurde, Montecassino mit amerikanischen Mitteln „neu und viel schöner“ wiedererstehen zu lassen. Von den versprochenen Dollars ist bisher nicht ein einziger eingetroffen, und Truman, an den der Botschafter das Memorandum weiterleitete, hat bisher nicht geantwortet. Es hat daher den Anschein, daß sich der amerikanische Präsident den Absichten seiner Regierung, wie sie von dem seinerzeitigen Geschäftsträger Harold T i 11 m a n dem Kardinal-Staatssekretär M a g 1 i o n e gegenüber geäußert wurden und die bestimmte Zusicherungen enthielten, nicht anschließen will.

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