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Ein treuer Diener...

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Die Vereinten Nationen leiden an akuter Mitgliederinvasion. Immer mehr Staaten von bescheidener Bedeutung für Weltkultur und Weltwirtschaft drängen sich in den Klub und werden wahllos aufgenommen, ehe sie noch bewiesen haben, daß sie „das Völkerrecht zu beobachten willens und fähig sind“. Um so wichtiger ist das Beispiel eines musterhaften Rechtsverfahrens, das die Vereinten Nationen ihren Mitgliedern zur Nachahmung vor Augen stellen sollen. Dazu haben sie nicht sehr häufig Gelegenheit. Der berühmt gewordene Fall B a n g-Jemen war eine solche Gelegenheit. Hat er die Erwartungen erfüllt?

Am 30. November 1957 richtete der dänische Angestellte der UN, Bang-Jensen, einen Brief an seine Frau und seine Freunde, aus dem sein Bewußtsein spricht, sich durch seine Hältung in der Frage der ungarischen Flüchtlinge die erbitterte Feindschaft der Kommunisten zugezogen zu haben. Er versichert darin mit Worten tiefsten Ernstes: wenn man einmal seine Leiche finden würde, so sei es sicher, daß er nicht durch Selbstmord umgekommen sei. Das sei unter allen Umständen („under no circum-stances whatsoever“) ausgeschlossen. Fände man bei der Leiche einen gegenteiligen Brief, so würde er eine Fälschung sein.

Genau zwei Jahre später wurde er erschossen aufgefunden. Der Totenschein besagt: „Todesursache: Schußwunde im Kopf; Selbstmord.“ Angesichts der Erklärung vom 30. November 1957 und seiner Stellung zu den Kommunisten wäre eine eingehend Untersuchung am Platz gewesen, wo und mit wem er die letzte Zeit vor seinem Tode zubrachte. Nicht unbeachtliche Gründe sprechen dafür, daß ein Pendant zum Tode Trotzkijs vorliegen könnte, das mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Ob aber Bang-Jensen von fremder oder von eigener Hand gefallen ist — er ist als Held, für seine Gewissenhaftigkeit und Überzeugugstreue, gefallen. In Dänemark gibt es Ehrengräber für Naziopfer; auch ihm gebührt ein Ehrengrab.

Er ist nur durch eines der Öffentlichkeit bekanntgeworden: durch sein Versprechen an ungarische Flüchtlinge, die von einer Kommission der UN einvernommen werden sollten, ihre Namen unter allen Umständen, auch vor anderen Organen der UN, geheimzuhalten, damit sie nicht auf verschlungenen Umwegen in rote Hände gelangen und Angehörige gefährden könnten. Es ist gleichgültig, ob er nach den Vorschriften der UN zu einem solchen Versprechen berechtigt war, wie allerdings nach dem Memorandum Cordier vom 8. Februar 1957 jeder annehmen mußte. Von den 111 Zeugen, die das von der UN am 10. Jänner 1957 unter Vorsitz des Australiers Shann eingesetzte Sonderkomitee für Ungarn in New York, Genf, Rom, Wien und London einvernahm, war 81 Männern und Frauen Geheimhaltung zugesagt worden. Zwei leitende Personen der Kommunistischen Partei hatten sich ausdrücklich ausbedungen, daß nicht einmal der Generalsekretär Hammarskjöld ihre Namen erfahren dürfe. War das Versprechen gegeben, so mußte es gehalten werden. Kein Druck, es zu brechen, durfte ausgeübt werden.

Bang-Jensen gab diese Versprechen in seiner Eigenschaft als Sekretär-Stellvertreter des Komitees. Er fand in dem Bericht des Sekretärs Jordan wichtige—Tatsachen unterdrückt. Es wurde ihm verboten, Mitglieder des Komitees, selbst in Gegenwart Jansens, auf Fehler im Bericht aufmerksam zu machen. War das in Ordnung? So machte er den Generalsekretär direkt auf diese Fehler aufmerksam, um sich gegen jede Verantwortung für sie zu schützen, und erbot sich, sie persönlich zu erhärten. War das ein Vergehen?

Am 26. August 1957 wurde er plötzlich seiner Stellung am Komitee mündlich enthoben. Dabei wurde ihm verboten, erstens den endgültigen Komifeebericht auch nur zu sehen, zweitens irgend jemandem von seiner Enthebung Mitteilung zu machen, selbst den Mitgliedern der dänischen Delegation, die an diesem Tage bei ihm zu Gast waren. Was mußten sich diese später von ihm denken, daß er ihnen dies verheimlicht hatte? Und warum das Geheimnis?

Noch hatte aber der Kampf um die geheimen Namen nicht begonnen. Bang-Jensen hatte gute Gründe, seine Versprechen zu geben und zu halten. Vier Jahre früher hatte er von einem russischen Beamten der UN erfahren, daß durch Versehen eines höheren amerikanischen Beamten der UN wichtige Mitteilungen in Sowjethände gelangt seien. Dieser Russe wollte dann in den USA Asyl suchen und ersuchte um die Intervention Bang-Jensens, dem er einschärfte, daß nichts Schriftliches über seine Absicht aufscheinen dürfe. Irgendwo in der Kette wurde aber doch etwas Schriftliches aufgesetzt, das zu demselben unvorsichtigen Amerikaner geriet. Kurz darauf wurde der Russe abberufen und verschwand. So etwas macht vorsichtig.

Am 15. Juli 1957 teilte der Ministerpräsident von Ceylon seinem Parlament mit, daß ein ceylonesischer Angestellter der UN dem Ersten Sekretär der Sowjetdelegation bei den UN, Vladimir Grusha, widerrechtlich Informationen übermittelt hatte. Herr Grusha wurde über Verlangen der USA abberufen und der ceylonesische Angestellte entlassen. So etwas macht gegenüber den Tausenden von Angestellten der UN aus den verschiedensten Nationen noch vorsichtiger.

Erst am 9. Oktober 1957, vier Monate nach Abschluß des Kommissionsberichts über Ungarn, verlangte das Generalsekretariat von Bang-Jensen die Auslieferung der Papiere mit den Namen der geheimen Zeugen, um sie versiegelt im Generalsekretariat aufzubewahren. Dieser verweigerte es unter Hinweis auf sein Versprechen. Darauf wurde er am 4. Dezember suspendiert, mit dem Bedeuten, daß ihn die Gründe dafür nichts angingen. Er durfte nicht mehr in sein Amtszimmer gehen, wo seine Dokumente verwahrt waren, sondern wurde von Sicherheitsorganen zum Tor geführt und hinausgewiesen.

Ein „Komitee“ wurde eingesetzt, das Bang-Jensen in Unkenntnis über Art und Zweck ließ, indem es sich als „informelle Gruppe“ bezeichnete, ihm keinerlei Anklage vorhielt und verheimlichte, daß von ihrem Verdikt seine Entlassung und Bloßstellung in der Öffentlichkeit abhängen könne. Als er nach zwei Einvernahmen am 13. und 16. Dezember den Charakter der „Gruppe“ erkannte und erklärte, er werde in Zukunft mit seinem Anwalt erscheinen, wurde er in den weiteren zwei Monaten bis zum Endbericht nicht mehr einvernommen, also ihm auch keines der in diesen zwei Monaten geprüften Beweisstücke vorgehalten.

Das Komitee, dem leidende Beamte der LIN angehörten, schlug seltsame Wege ein. Mitten in seiner Tätigkeit, am 21. Dezember, veröffentlichte es seinen ersten Bericht, der damit anfängt, daß noch niemals auch nur eine einzige Indiskretion bei den UN-Nationen vorgekommen sei. Der zweite Bericht vom 15. Jänner 1960 gipfelte in dem Vorschlag, „daß Bang-Jensen die gegenständlichen Papiere in einem verschlossenen Umschlag in Gegenwart eines Sicherheitsorgans der UN zu verbrennen und die Versicherung abzugeben habe, daß er keine Kopie habe und seines Wissens auch keine existiere“. Dem stimmte das Generalsekretariat am 18. Jänner zu, und die Verbrennung erfolgte am 24. Jänner auf dem Dach des Sekretariats in Gegenwart Bang-Jensens, seines Anwalts, des berühmten Politiker Berle, des Vertreters des Generalsekretariats, Dr. P r o t i t c h, und eines Sicherheitsorgans. Damit schien die Angelegenheit erledigt.

Am 8. Februar erschien Jedoch der dritte und längste Bericht der „Informellen Gruppe“, der die Entlassung Bang-Jensens empfahl. Er enthält wesentliche Unrichtigkeiten, wie von dem bekannten, aus Österreich stammenden Journalisten Julius Epstein, dem Aufdecker des Katynmordes, in einer aufsehenerregenden Studie über alle Phasen des Banc-Jensen-Falle; festgestellt wurde. Heitererweise — nur nicht heiter für Bang-Jensen — wirft ihm der Bericht

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