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JAKOB KAISERUNTER WID RIGEN STERNEN

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„Vergeßt die Zone nicht. ..“ soll der seit Monaten dem Tode entgegensehende Jakob Kaiser seinen Freunden, die ihn am Sterbelager besuchten, wieder und wieder zugeflüstert haben. So berichtet es Ernst Lemmer, der vertraute und gleichgesinnte Freund und Nachfolger auf dem so harten Sessel des Ministers für gesamtdeutsche Fragen bei der Totenfeier in Berlin. Jakob Kaiser, der fränkische Buchbinder mit dem hartkantigen Arbeitergesicht hatte zeitlebens nicht das, was man die ,.glückliche Hand nennt. Er war mit 45 Jahren Reichstagsabgeordneter des Zentrums und Geschäftsführer der christlichen Gewerkschaften, als Hitlers Machtantritt seine politische Basis zerstörte. Er gehörte zu denen, die sich nicht auf das „Neue Reich“ umstellten, sondern vom ersten Tag der NS-Herrschaft an für ein neues Deutschland arbeiteten. Es kostete ihn, der im gut katholischen Sinn großdeutsch dachte, eine schwere Erkenntnis, als er im Kontakt mit österreichischen Widerstandskämpfern gleicher Gesinnung (unter ihnen der ihm im Tod vorausgegangene Lois Weinberger) erfahren mußte, daß Österreich um seiner existenznotwendigen Eigenständigkeit willen auch nicht zum Staatsverband eines anti- httlerischen Deutschlands der Zukunft gehören wollte. Noch 1951, als er als prominenter deutscher Gast dem Salzburger Parteitag der ÖVP beiwohnte, stand er bei der Heimfahrt lange sinnend vor dem unwiderruflichen rot-weiß-roten Grenzbalken…

Seine tragisch-große Zeit aber fällt vor dieses Datum. Als Mitbegründer der von ihm bewußt gesamtdeutsch denkenden und der Zonengrenzen grundsätzlich nicht achtenden CDU arbeitete er an de- s ren heute ad acta gelegten AhlenerProgramm maßgeblich mit. Sein politisches Konzept ging von derVoraussetzung aus, daß die sowje- tische Besatzungsmacht — ähnlich t wie 1945 in Österreich — auch in “ Mitteldeutschland den Wählerwillen respektieren und der Bevölkerung den Kommunismus nicht mit Gewalt auf zwingen werde. Vom Ende des Jahres 1945 bis zu den dramatischen Tagen des Jahreswechsels auf 1948 hielt er mit der ihm eigenen realistischen Zähigkeit an dieser Linie fest. Er forderte als Parteivorsitzender der CDU für Berlin und die Zone, als stellvertretender Präsident des (zonalen) Gewerkschaftsbundes die Christen immer wieder auf, „am Mann zu bleiben“, kein Gelände preiszugeben und durch ihr Dasein und Auftreten die Russen davon zu überzeugen, daß die Deutschen wohl bereit sind, in friedlicher Nachbarschaft mit der Sowjetunion zu leben, für die Verbrechen der Hitlerzeit zu sühnen und die Grundlagen des Faschismus zu vernichten, unter keinen Umständen aber dem atheistischen Kommunismus zuzustimmen. Jakob Kaiser hatte sich verschätzt. Aber sein Irrtum in der Beurteilung der Sowjetpolitik war ein ehrenhafter. Er gehörte zudem auch nicht nur ihm allein. Viele Menschen glaubten im damaligen Deutschland an eine ähnliche Möglichkeit. Als Jakob Kaiser aber sah, daß die von den Sowjets inszenierte Bewegung des sogenannten Volkskongresses in gerader Linie auf die Errichtung eines kommunistisch geführten Zonenstaates hinauslief, hatte er die sittliche Kraft zu einer umfassenden Korrektur. Zusammen mit seinem Kampfgefährten Ernst Lemmer verließ er den Machtbereich der Zone, keinesfalls aber um den dort ausharrenden christlichen Demokraten den Rücken zu kehren und eine bequeme Emigration aufzusuchen, sondern um ihnen von außen her unmittelbar zu helfen. Unter Seiner Ägide sammelten sich die Gleichgesinnten in der so genannten Exil-CDU, auf seine Persönlichkeit war das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, in das er 1949 einzog, zugeschnitten. Er war in den wenigen, ihm vergönnten Jahren aktiver Arbeit beiden unbequem: Den überklugen und mit historischen Modellen spielenden Hintergrundideologen in Bonn, die sich mit der Deutschland zerreißenden Zonengrenze auch grundsätzlich abfinden wollen und den Machthabern in Pankow, die die von ihm ausgebaute Berliner Bastion an der Sektorengrenze als brennenden Pfahl im Fleische empfanden.

Aber am Zeuge flicken konnte ihm dennoch keiner: Die Pankower konnten den von der Gestapo gejagten Arbeiterführer nicht als Kapitalisten und Faschisten hinstellen. Und die Strenggläubigsten in Bonn konnten den militanten Katholiken Kaiser nicht der geringsten Mitläuferschaft des Kommunismus verdächtigen. Als er Siebzig war, machte ihn Berlin zum Ehrenbürger. Aber er mußte die Ernennung schon auf dem Krankenlager annehmen, ln ruhigem Gottvertrauen hat er die letzten Jahre durchgestanden. In der Gewißheit, das Seine getan zu haben und im Wissen, daß es oft ein „anderer ist, der sät, und ein anderer, der erntet…

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