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Juden nicht envunscht?

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Durch Umsynchronisation ist in dem Film „Schrei, wenn du kannst“ (irrsinniger deutscher Titel für französisch „Les cousins“, „Die Vettern“), wie im Original, wieder ein Jude und nicht ein Ungar das Opfer eines schaurigen Spaßes; heißt es auch wieder „Aufstehen, Gestapo!“ und nicht „Aufstehen, Staatspolizei.'“. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung bequemte der Verleiher sich zu dieser „Korrektur“, stellte er den wahren Sachverhalt wieder her. Solche Verfälschungen sind im heutigen Deutschland an der Tagesordnung.

In der Bundesrepublik konnte es auch geschehen, daß Lilli Palmer getadelt wurde, weil sie in dem britischen Film „Verschwörung der Herzen“ eine Äbtissin spielt, die, unterstützt von italienischen Partisanen, mit ihren Nonnen Judenkinder zu retten versucht, deren Eltern während des zweiten Weltkriegs verschleppt worden waren. Man meinte scheinheilig, das deutsche Volk habe „gesühnt“ und sei ehrlich bemüht, „die Sünden der Vergangenheit wiedergutzumachen“. Dieser Absicht aber könne ein solcher Film nicht förderlich sein. Lilli Palmer ist jüdischer Abstammung, emigrierte 1933 und kehrte erst 1954 wieder zurück. Als international anerkannte Darstellerin spielt sie, wo immer man sich ihrer verläßlichen Kunst bedienen mag. Also auch im Ausland. Und sie spielt, was ihr zusagt. Für die Übernahme der Hauptrolle in „Verschwörung der Herzen“ werden gewiß auch persönliche Motive maßgebend gewesen sein. Eine auf außerkünstlerische Momente abgestellte Kritik ist unzulässig.

Es gibt noch einen anderen Fall, der zu einem „Fall“ werden könnte. Er betrifft Hardy Krüeer, der sich dem Vernehmen nach entschlossen hat, in einem englischen, das Verhältnis eines deutschen Junten zu einem jüdischen Mädchen schildernden Film nur gegen Beteiligung an den späteren Einspielergebnissen (also ohne Gage) mitzuwirken, ja den Streifen noch teilweise zu finanzieren. Der Darsteller soll dazu besonders durch Berichte seiner Tochter angeregt worden sein, die darüber klagte, daß sie in einem schweizerischen Internat als Deutsche von jüdischen Mitschülerinnen „geschnitten“ würde. Krügers Verhalten ist die einzis? richtige Reaktion, und man darf nur hoffen, daß es seine Beziehungen zu gewissen deutschen Filmgewaltieen (wir meinen diejenigen, auf dereni liarlstTSche Vergangenheit schon wiederholt hingewiesen wurde) nicht trübt...

Was tut der bundesrepublikanische Film ansonsten, um sein Teil zur Abwehr antisemitischer Tendenzen in der Öffentlichkeit beizutragen? So gut wie nichts! Weihnachten 1959 begannen die Hakenkreuzschmierereien — inzwischen ließ kein Autor, keine Produktion (die doch sonst so fix sindl einen entsprechenden Stoff im Titelregister der Freiwilligen Selbstkontrolle schützen. „Blumen für die Schwiegermutter0, ..Ein Küßchen in Ehren“. „So was muß um 8 ins Bett“ - das sind so einige Eintragungen aus dem Jänner 1960.

Wenn schon die Stofflieferanten und Hersteller versagen, könnte man annehmen, daß dann wenigstens die Verleiher zweckentsprechend disponieren. Sie wären hierzu durchaus in der Lage. Von 1947 bis 1949 wurde eine Reihe geeigneter, d. h. dem Verständnis des Judentums und seiner Problematik dienender Filme in deutscher Sprache produziert — so etwa Harald Brauns ..Zwischen gestern und morgen“, Yorks „Morituri“, „Lang ist der Weg“ von Herbert B. Fredersdorf, Bakys „Der Ruf“ und der „Prozeß“ von G. W. Pabst. Von diesen Streifen hatte allein die Bavaria drei in der Vermietung, dazu noch „Affäre Blum“ der DEFA, deren ebenfalls brauchbare „Ehe im Schatten“ der Westfalen-Verleih vertrieb. Warum werden sie jetzt nicht wieder angeboten?

Von der stofflich wie formal bemerkenswerten bulgarisch-sowjetzonalen Gemeinschaftsproduktion „Sterne“ hört man, daß sie hier angekauft worden sei. Warum erscheint sie nicht? Was hindert den Nordwestdeutschen Filmverleih, den schon geraume Weile angekündigten recht erheblichen Israel-Film „Höhe 24 antwortet nicht“ (hoffentlich ohne Schnitte, d. h. mit jener Szene, die die Begegnung jüdischer Freiheitskämpfer mit einem in ägyptischen Diensten stehenden SS-Mann zeigt) vorzulegen? Auch die ausländischen Firmen könnten sich Verdienste erwerben: Her noch einmal mit Columbias „Jakobowsky und der Oberst“, heraus mit „Verschwörung der Herzen“, welcher Streifen von Rank verliehen wird! Und dazu immer wieder „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais und „Schmetterlinge fliegen hiei nicht“ aus der Tschechoslowakei...

Einzig am 27. Jänner 1960 erfolgte im FSK-Register die Eintragung von - „Nathan, der Weise“...

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