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Kadars Dunstglocke
Eine Dunstglocke entsteht, wenn von einem Gebiet ungute Ausdünstungen aufsteigen, in gewisser Höhe zur Isolierungskuppel zusammengeballt werden, die Freizügigkeit frischer Luftströmungen behindern und dadurch den betroffenen Raum in den Zustand lethargischer Betäubung versetzen beziehungsweise die dortigen Lebewesen in ihm verharren lassen.
Der Budapester KP-Führer Janos Kadar ist in der adriatischen Hafenstadt Fiume als Sohn eines Vaters, der seine Familie als Trunkenbold prügelte und verstieß, geboren worden, unter mißlichen Verhältnissen in die vom Trianon-Vertrag geprüften Magyaren-Metropole gezogen und dort — obgleich er 1944 zu Tito flüchten wollte — erst im Zuge der sowjetischen Besetzungsmacht emporgekommen. Historiker „vom Dienst” werteten Kadars „revolutionäre Tätigkeit” während des Horthy-Regimes weit über das gebührliche Maß hinausgehend auf, um darüber hinwegzutäuschen, daß er in Wirklichkeit, zeit seines Lebens, ein vom Schicksal geprüfter, schwacher Mensch war und blieb, dessen Tragik in seinen Gesichtszügen geschrieben steht und gleichzeitig auch die Note des von ihm verwalteten Staates prägt.
Im Schlepptau des Regimes — als dessen Opfer, aber auch gleichzeitig als dessen Gefangener — entwik- kelte Janos Kadar, seit 1966 vorbehaltslos auf Kreml-Kurs gebracht, die Sicherheit der Unsicherheit zum System der sowjetischen Totalkolonisierung. Schlecht beraten und, was noch schlimmer scheint, genarrt, muteten westliche Kommentatoren Kadar-Ungarn anläßlich des CSSR- Uberfalls eine Mittlerrolle zu; sie bescheinigten dem Pußtaland im Ostblock eine Sonderstellung und himmelten dessen sogenannten „neuen Wirtschaftsmechanismus” als verheißungsvolle Erscheinung an. In Wirklichkeit verriet Budapest den Prager Frühling und fiel dessen Akteuren politisch posthum noch in den Rücken — das Zentralorgan „Nepszabadsag” liefert dafür Beweise am laufenden Band: Von einem Abstand zu des Kremls Tagesukasen oder gar auch nur von einem Vorbehalt gegen diese ist in Ungarn keine Spur zu finden. Im Gegenteil, die erste sowjetische Presseintrige gegen den amerikanischen Besuch in Rumänien wurde über den ungarischen Korrespondenten der „Agence France Presse” in die Welt gesetzt, und dies war nicht die Premiere gleichgearteter Schachzüge gegen Bukarest.
Geschichte Propaganda
Über die Spirale der KP-Karriere vom Eisendreher zum wirklichen Gestalter dessen, was ungarische Außenpolitik heißt, emporgewunden hat sich Vizeaußenminister Puja, da sein mutmaßlicher „Chef”, Janos Peter, ein renegater protestantischer Bischof, an gar nicht überraschenden gesundheitlichen Erschütterungen leidet. Zur Zeit der Revolution in Ungarn wirkte Puja als Botschafter in Wien. Es heißt, er habe geschwankt, seine Segel jedoch nach dem sowjetischen Überfall in den neuen Wind gehängt. Diesem Politiker gebührt das Verdienst, dem Abendland das Kreml- Rezept für die kommenden Zeiten verraten zu haben — ohne daß es indes wahrgenommen und beherzigt worden wäre. Kadars Diplomat Nummer 1 dozierte: „Wenn die östliche Koexistenzthese und -praxis dem Westen nicht paßt, dann müssen sie ihm aufgezwungen werden.” — Darum ist auch das Pußtaland seit der 1966 erfolgten Offenbarung Pujas unablässig bemüht, und darum gibt es, das kann nicht oft genug betont werden, zwischen Ungarn und dem Westen auf keiner wie immer gearteten Ebene andere Kontakte als die den Budapester Kommunisten nützenden und von ihnen bewilligten.
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