Nach Norden
FOKUSAb in den Norden: Über Scandi-Chic, Hygge und die kollektive Sehnsucht nach Geborgenheit
Vom minimalistischen Interieur über die schnickschnacklose Mode bis hin zu selbst gebackenen Zimtschnecken: Scandi-Chic ist in Mitteleuropa seit Jahrzehnten hoch im Kurs. Über das populäre „hyggelige“ Lebensgefühl und einen kollektiven Sehnsuchtsort.
Vom minimalistischen Interieur über die schnickschnacklose Mode bis hin zu selbst gebackenen Zimtschnecken: Scandi-Chic ist in Mitteleuropa seit Jahrzehnten hoch im Kurs. Über das populäre „hyggelige“ Lebensgefühl und einen kollektiven Sehnsuchtsort.
Das warme Licht von Kerzen, ein kuscheliges Sofa, ein heißes Getränk, ein gutes Essen, vielleicht ein Kaminfeuer, gerne auch im Kreise von Familie und Freunden: all das wird mit Hygge assoziiert. Hygge bedeutet ein zufriedenes Leben in Geborgenheit und Bescheidenheit.
Hygge ist nur das jüngste Beispiel für die Faszination, die der Norden auf Mitteleuropäer ausübt – wobei in diesem Kontext unter Norden der Kulturraum Skandinavien zu verstehen ist, also Schweden, Norwegen, Dänemark und, wenn man so will, auch Finnland und Island. Nordisches Design steht in unseren Breiten schon seit Jahrzehnten hoch im Kurs. Mode, Möbel oder Geschirr aus Skandinavien gelten unter Kennern als herausragende Beispiele für schlichte und moderne Gestaltung. Ikea trat seinen Siegeszug um die Welt an, weil das schwedische Unternehmen qualitätsvoll und zeitgemäß gestaltete Möbel für wenig Geld verfügbar machte. Auch wenn die nordische Küche nicht viel zu bieten hat, hat es Manches davon bis hierher geschafft: Knäckebrot ist aus keiner "Brigitte-Diät" wegzudenken und mittlerweile findet man ein noch vor Kurzem völlig unbekanntes isländisches Milchprodukt namens Skyr in jedem Supermarkt.
Edelmut, Gemütlichkeit, Bescheidenheit
Literatur aus dem Norden findet reißenden Absatz, TV-Serien und Fernsehfilme, die aus Skandinavien stammen oder zumindest dort spielen, ziehen die Zuschauer in ihren Bann. Dabei stellt die Marke Inga Lindström alles andere in den Schatten: Unter diesem Namen – übrigens das Pseudonym einer deutschen Autorin – hat das deutsche Fernsehen über 100 Drehbücher verfilmt, die allesamt in Schweden spielen. Auch wenn Inga-Lindström-Verfilmungen nicht unbedingt etwas mit dem realen Schweden zu tun haben, spiegeln sie doch ein Bild wider, das im deutschsprachigen Raum mit diesem Land und dem gesamten Norden in Verbindung gebracht wird: weite Landschaften, schlichte Häuser und gute Menschen.
Mit Edelmut, Gemütlichkeit und Bescheidenheit der Unbill der rauen Welt da draußen zu trotzen ist jedoch nur eine Facette des in unseren Breiten vorherrschenden Bildes vom Norden. Dieses hat nämlich auch eine politische Dimension: Er steht für Sozialstaat, Demokratie und Weltoffenheit. Er ist sozusagen Geographie gewordene Sozialdemokratie. Hinter dem unvermeidlichen Happy End der Inga-Lindström-Verfilmungen steckt der Gedanke, dass den Protagonisten letztlich nichts Schlimmes passieren kann; immer hält jemand, und sei es nur die Drehbuchautorin, die schützende Hand über sie. Ikea hat das schöne und hyggelige Wohnen, das früher den Wohlhabenden vorbehalten war, auch dem gemeinen Volk zugänglich gemacht und auf diese Weise demokratisiert.
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