„Schule kann man besser machen!“

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Wolfgang Mühl ist Lehrer – und jammert nicht. Statt über renitente Klassen zu klagen, spricht er vom Recht der Schüler auf Respekt. Was das bedeuten kann? Womöglich schon, sich schnellstens ihre Namen zu merken. Von einem, der nicht aufhört, hinzuhören.

„Ich habe keinen besonders großen Publikumsandrang“, sagt der distinguierte Mann in Schwarz. Heute, am Tag des Sportfestes im Bundesoberstufenrealgymnasium 3 in Wien-Landstraße, heute, da kurze Hosen die Gänge prägen und das Schuljahr in den letzten Zügen liegt, ist das nicht verwunderlich. Doch auch sonst schauen nicht allzu viele Eltern bei Wolfgang Mühls Sprechstunde dienstags um neun Uhr vorbei. Das mag daran liegen, dass 17-Jährige nicht sonderlich begeistert sind, wenn ihre Erziehungsberechtigten an schulinterne Dinge rühren. Vielleicht liegt es aber auch daran, wie Mühl sein Lehrersein versteht. Es geht ihm um Motivation und Respekt, um das Ernstnehmen jedes und jeder Einzelnen. Da bleiben nicht viele Katastrophen für die Sprechstunde übrig.

Wie sich Respekt im Schulalltag zeigen kann, erklärt der Deutsch- und Englischprofessor anhand eines Beispiels – wie so oft. „Manche Lehrer sagen fast stolz, dass sie sich keine Namen merken können. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, sich alle Namen so schnell wie möglich zu merken“, erklärt der 47-Jährige mit sonorer Stimme. „Die Schüler haben ein Recht darauf, als Persönlichkeiten wahrgenommen zu werden.“

„Indian Letter Game“ heißt die Übung, mit der ihm am Anfang jees Schuljahres das Memorieren von rund 60 neuen Namen gelingt. Während die Schülerinnen und Schüler in die Rollen von Indianern schlüpfen, auf Kärtchen ihre neuen Namen („howling wolf“) neben ihren tatsächlichen notieren und sich in Vierergruppen gegenseitig Briefchen schreiben, umschleicht der Lehrer die unbekannten 15-Jährigen und prägt sich ihre Namen und Gesichter ein. 50 Minuten später sind sie ihm geläufig.

Hellhörigkeit, Reflektiertheit, Professionalität: Diese Eigenschaften sind es, die Wolfgang Mühl seit jeher wichtig sind. 1962 in Pinkafeld geboren, ist er schon bald vom häuslichen Bücherschrank fasziniert. „Blöderweise“ besucht der sprachbegabte Bub jedoch den naturwissenschaftlichen Zweig eines Gymnasiums – und erlebt dort Schule, wie sie nicht sein soll: geprägt von Desinteresse und Beliebigkeit, von einem Laisser-faire-Klima, in dem sich die Starken durchsetzen und die Schwachen untergehen. „Ich habe schon damals das Gefühl gehabt: Schule kann man besser machen!“, erinnert sich Mühl. Er studiert Anglistik und Germanistik in Wien, schreibt zwei Jahre intensiv an seiner Diplomarbeit über Hartmann von Aue („Das war Demut vor der Aufgabe. Heute hätte ich in dieser Zeit sicher fünf Praktika gemacht!“) und geht 1992 als erster österreichischer Lektor an die „Universität des Westens“ in Temeswar. „Mit zitternden Händen“ habe er die Diplomarbeit von Herta Müller aus einem Kasten gefischt. Bis heute fühlt er sich Rumänien verbunden.

1994 entscheidet sich Wolfgang Mühl schließlich, in die Schule zu gehen. Seit damals versucht er, seine große Leidenschaft, die Literatur, am BORG 3 jungen Hauptschulabsolventinnen und -absolventen nahe zu bringen. Was die jungen Menschen besonders dringend brauchen? „Geduld und Vertrauen, um sich entwickeln zu können“, antwortet Mühl. Einmal hätten viele seiner Schülerinnen Probleme in der Textgrammatik gehabt. Typisches Schriftbild: Durchstreichungen, Pfeile, Verweise. Nach intensivem Arbeiten habe sich schließlich Erfolg eingestellt – zwei Jahre später. „Als Lehrer braucht man einen langen Atem“, ist sich der Pädagoge bewusst.

Mit jammernden Kollegen hat Wolfgang Mühl dennoch nichts am Hut. „Ich habe großen Respekt vor dem Begriff Eigenverantwortung“, betont er. Der tägliche Zehn-Uhr-Kaffee, den er mit Hilfe seiner „Bialetti“ genießt, gehört ebenso zur Psychohygiene wie der Versuch, sich von ständigen Schulreformdebatten nicht frustrieren zu lassen. Zumindest die Ganztagsschule nimmt er ohnehin vorweg: In einem Kammerl namens „Sammlung“ bereitet er sich bis 17 Uhr auf seinen Unterricht vor. „Improvisationskunst und Kreativität“, sagt er lächelnd, „gehören eben zu einem geglückten Schulleben dazu.“

Eine Adoption, die das Leben verändert

Die Ferien ebenso. Eine Woche braucht Wolfgang Mühl, um nach dem Maturastress zur Ruhe zu kommen. Danach verbringt er die Zeit mit der Familie im Südburgenland, liest, renoviert ein wenig und sieht seinen zwei Mädchen beim Spielen zu. Die Ältere, Fünfjährige, wurde in Äthiopien geboren. Dieses Kind adoptiert zu haben, das habe – wie in Robert Frosts berühmtem Gedicht „The Road Not Taken“ – den entscheidenden Unterschied in seinem Leben gemacht.

Ob Familie oder Schule: Um Heldengeschichten geht es ihm nicht, diesem distinguierten Mann in Schwarz. Was zu tun ist, so gut als möglich tun: So beschreibt er seinen Lebenssinn. „Das klingt nach bravem Jungen, aber man bekommt auch viel dafür: Zufriedenheit und Momente des Glücks.“

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