Herero-Genozid: Lüderitz - für immer
Am Rande der Wüste Namib wehrt sich ein kolonialdeutsches Städtchen dagegen, das Erbe der deutschen Schreckensherrschaft in Südwestafrika in Vergessenheit geraten zu lassen. Eine Spurensuche.
Am Rande der Wüste Namib wehrt sich ein kolonialdeutsches Städtchen dagegen, das Erbe der deutschen Schreckensherrschaft in Südwestafrika in Vergessenheit geraten zu lassen. Eine Spurensuche.
Mit Hansi Hinterseer und „Sieben roten Rosen“ war eigentlich nicht zu rechnen gewesen. Plötzlich war jedenfalls Musik da und das Knistern im Autoradio vorüber, gleich nach Seeheim, wo ein uraltes Hotel aus Steinblöcken steht. Verlassener geht es kaum, selbst für namibische Verhältnisse: 495 Kilometer und nur eine Tankstelle bis zur Lüderitzbucht. Der Sender heißt NBC Funkhaus Namibia (Motto: „Deutsch gehört gehört“), besteht seit 1979 und bringt täglich Kindersendungen („Hallo Kinder“), Samstagmorgen „Wochenend und Sonnenschein“ und Sonntagnachmittag nach der Bibelstunde „Wünsch dir was“.
Frau Vogelbeer aus Swakopmund wünscht sich Andreas Gabalier. Doch von Rehlein ist hier in Südnamibia keine Spur, eher von Oryx und Springböcken, die aus dem Nationalpark am Rand der Wüste Namib traben. Windhoek, die Hauptstadt Namibias, ist 685 Kilometer entfernt. „Einmal im Jahr fahren wir zum Zahnarzt hin“, sagt Frau Lore, 74, die in der Bismarckstraße im Städtchen Lüderitz einen kleinen Laden neben der Kegelbahn betreibt. Sie verkauft Souvenirs und Memorabilien, die Buchter News (eine namibische Lokalzeitung in deutscher Sprache) und Eintrittskarten für die verwehte Diamantengeisterstadt Kolmannskoop in der diesigen Dünenlandschaft im Hinterland.
Schon ihre Großeltern sind hier geboren, sagt sie, und zeigt uns stolz ihre Hefte der Schriftenreihe „Aus alten Tagen in Südwest“, Heft eins bis acht, die von Walter Moritz, einem ehemaligen Missionar der Rheinischen Mission, herausgegeben wurde. Da geht es um Ochsenkarren und Pastoren, um Seidenweber und feindliche Herero, um Zucht und Ordnung und schwarz und weiß – nicht nur drucktechnisch.
Eroberer nach Eroberer
Frühere Besucher des einsamen Landstrichs kamen eher vom Meer. Den portugiesischen Seefahrer Bartolomeu Diaz, damals auf der Suche nach dem Seeweg nach Indien, verschlug es 1487 als ersten Europäer in die entlegene Bucht, die später von England zum Guano-Abbau genutzt wurde. Doch dann kamen die Deutschen und blieben 31 Jahre. Lüderitzland, wie der Küstenstreifen im Südwesten Afrikas fortan bezeichnet wurde, war keine zufällige Entdeckung. Es wurde nach den Bremer Großkaufleuten August und Adolf Lüderitz benannt, der das Land 1883 unter fragwürdigen Umständen über Heinrich Vogelsang für seine Firma erwerben ließ. Das 1884 unter deutschen Schutz gestellte Küstenland wurde – gemeinsam mit dem nördlich gelegenen Swakopmund – zu einer Keimzelle der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, des heutigen Namibia.
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