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„Fidelio“ unter dem Sternenhimmel

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Die Sterne einer prächtigen Julinacht blickten auf die Freilichtbühne des Schloßbergs herab, als mit dem Finalejubel des „Fidelio“ die Grazer Sommerspiele 1958 zu Ende gingen. Es gibt keine Oper, die besser auf diese Bühne paßte: das ehemalige Festungsgefängnis ist der ideale Schauplatz für dieses Werk. Nicht ganz so ideal war die Wiedergabe; die Akustik dort oben ist unbestechlich und alles andere als schönfärberisch. Da merkt man unweigerlich jede kleine Unreinheit im Orchester, und auch berühmte Stimmen klingen manchmal nicht makellos. Dennoch ist der „Fidelio“ auf dem Schloßberg immer ein Fest. Der Beifall galt dem Ganzen und nicht nur dem Detail, der Gesamtleistung nicht nur den berühmten Gästen Martha Modi, Anton Dermota und H. Imdahl.

Auch heuer hat Graz die Sommerspiele wieder „sich zur Feier“ veranstaltet. Der Anteil der auswärtigen Besucher ist gering gewesen nud somit der Charakter der Festwochen vielleicht etwas bescheiden. Aber das entspricht recht gut der Wesensart dieser in glücklicher Weise noch bescheidenen und snobistischem Rummel wenig zugänglichen Stadt. Vertiefung und stilles Versenken in die Schönheiten alter Musik ist hier noch möglich. So waren denn die fünf Konzerte im Eggenburger Schloß mit seinem kraftvollen Barockinterieur auch heuer wieder die besinnliche Mitte des Ganzen. Barockmusik ist zwar stark in Mode — aber hier in Eggenburg hat der Zuhörer doch nicht das Gefühl modischen Kitzels, sondern werkgetreuer, hausmusikartiger Kunstübung. Dieses Erlebnis vermittelte in einzigartiger Weise der Wiener „Concentus musicus“, die Spielgemeinschaft um die beiden jungen Harnoncourt mit Perlen englischer Renaissance- und deutscher Barockmusik: kostbare Instrumente und noch kostbarere, gar nicht akademische Freude am Spiel. Nicht in ebensolchem Maße überzeugend war das Vivaldi-Ensemble aus Rom, das vor allem Werke seines Namenspatrons, aber auch, als Kuriosum, ein Klavierkonzert von Puccinis Großvater brachte. Süddeutschen, ein wenig romantischen Interpretationsstil führten die Münchner Kammermusiker („Convivium musicum“) vor. Ihr Programm war mehr dem Beliebten und Bekannten verpflichtet und vermochte nicht ganz die in diesem Raum so geschätzte Intimität zu bewirken. Herber — norddeutsch eben — spielte das Gebel-Ensemble aus Hamburg seinen Bach: neben dem Cembalokonzert in d-Moll war es vor allem das !. Brandenburgische, das in seiner stilreinen, alle Aeußerlichkeiten meidenden Wiedergabe zum Erlebnis wurde.

Im Stephaniensaal hatte es die Philharmonia Hun-garica nicht leicht, denn vor ihr hatten die Phil-adelphier unter Ormandy Triumphe gefeiert. Die Ungarn, die wegen der Erkrankung Doratis von Z. Rocznyai geleitet wurden, sind ein Orchester von recht guter Qualität, an dem besondert die kräftigen Streicher, aber auch das Temperament und die nationale Begeisterung, mit der sie Kodaly und Bartök spielten, imponieren. Edith Farnadi zelebrierte mit letzter Einfühlung die fast schon verklärte Haltung des letzten Bartök-Konzertes.

Den südlichen Nachbarn räumte die Oper einen entscheidenden Platz im Programm ein: einerseits in der Person des römischen Maestro Giuseppe Morelli, der nicht nur ein temperamentvoller Dirigent, sondern ein sehr gewissenhafter Studierer ist („Aida“, „Turan-dot“ und „Butterfly“ in hiesiger Inszenierung). Den Vogel aber schoß dann die Laibacher Nationaloper ab: nach einem sehr konventionellen und in der Tradition festgefahrenen „Schwanensee“-Ballctt gab es anderntags ein wirkliches Opernereignis: „Die Liebe zu den drei Orangen“ von Prokofieff — -in russischer Sprache (Dirigent: Bogo Leskovic, Regie: H. LeskovSek). Prall, saftig und kraftstrotzend war alles, was man an diesem Abend zu sehen und zu hören bekam. Vielleicht hätte man es hierzulande noch etwas subtiler, mit raffinierterer Ironie gemacht, bestimmt jedoch nicht urwüchsiger. Der Impetus der Jugoslawen war in seinem geradezu barbarischen Charme ansteckend auch für den skeptischesten Zuschauer. — Das Schönste und Reizvollste, was das eigene Ensemble in diesen drei Wochen zu bieten hatte, war unzweifelhaft die entzückende Rokoko-Schelmerei Cimarosas in Eggenberg: „II Matrimonio' segreto“ war der „jungen Garde“ der Grazer Oper anvertraut. M. Caridis als „Maestro direttore“, F. Wolf-Ferrari als „Regista“ und ein Sextett junger Solisten gaben dem heiteren Spielchen temperamentvolle, unbeschwerte Laune im Kerzenschein des „Castello Eggenberg“.

Zum erstenmal zeigten die Grazer sommerlichen Spiele ein eigenständiges Gesicht und ein Format, von dem aus sich nun weiterbauen läßt.

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