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Jenseits des Vorhangs

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In der nordöstlichen Slowakei liegt — “umgeb’en von einer zum Großteil, noch gut erhaltenen Schutzmauer die alte Stadt Levoča, bekannt unter dem deutschen Namen Leutschau. Wenn man sie durch eines der Tore betritt, staunt man über die architektonisch-harmonische Anlage dieser Siedlung in der Zips, in der — bis zum zweiten Weltkrieg — Deutsche, Ungarn und Slowaken friedlich nebeneinander lebten. Jetzt hört man hier nur noch Slowakisch und Ungarisch sprechen. Einer der wenigen, die noch Deutsch mit dem Fremden reden können, ist der Portier des Hotels „Družba” („Freundschaft”), der sich bemüht, uns den Aufenthalt in diesem stark frequentierten Jfcjknjse- so,, angenehm als. mögliche zu gestalten, ln Levoča. gibt,es keine Industrie, die meisten. Bewohner arbeiten irgendwo in der Umgebung in den wie Pilze aus dem Boden schießenden Betrieben. Denn die Slowakei ist ein großer Bauplatz geworden, und die Zeiten, da der Bevölkerungsüberschuß nach Übersee auszuwandern gezwungen war, sind längst vorbei… Levoča ist eine ruhige Kleinstadt mit einem riesigen Kastell und einem großen Hauptplatz, auf dem das behäbige Rathaus steht und daneben die St.-Jakobs- Kirche mit dem weltberühmten gotischen Holzaltar des Meistens Paul von Leutschau.

Der gegenüber der Kirche wohnende Mesner erklärt sich bereit, die Führung gelesen und gehört, wenn man aber vor ihm steht, ist man überrascht von der Pracht des Werkes. Meister Paul muß es Ende des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts geschaffen haben, denn 1508 wurde der Altar aufgestellt. Als Vorlagen dienten Holzschnittzeichnungen von Lukas Cranach d. Ä. Die evangelische Chronik spricht von der Fertigstellung des Werkes im Jahre 1505, aber erst 1517 wurde der Altar vergoldet, der dem heiligen Jakob geweiht wurde und den Namenspatrcn, in Hplz geschnitzt, zeigt. Bei der Restaurierung — die infolge Wäffti Stichs vorgenommen werden mußte, und der Haltbarmachung durch Imprägnierung — wurde auf der Rückseite eine Kreideinschrift entdeckt: die Jahreszahlen 1460—1517. Man vermutet, daß diese Zahlen das damalige Lebensalter des Meisters Paul betreffen; er schuf also den herrlichen Altar mit 48 Jahren. Meister Paul soll bei Veit Stoß in die Schule gegangen sein.

Der Restaurator Hermann Kotrba spricht ausgezeichnet Deutsch. Er hat für die Restaurierung des Hochaltars den Staatspreis erhalten. Es war eine unerhört mühselige und langwierige Arbeit: kein Splitter durfte verlorengehen, die Farben mußten erneuert werden; ob er auch Ochsengalle beimischte wie Meister Paul, hat Herr Kotrba uns nicht verraten. Auf diese Frage lächelte er nur verschmitzt… Das Holz ist nunmehr durch und durch imprägniert worden, was eine unbeschränkte Haltbarkeit verspricht. Das Ausland bot drei Millionen Dollar für den Hochaltar, jedoch vergeblich, er wird weiterhin eine Art Nationalheiligtum bleiben, zu dem Tausende, ob gläubig oder nicht, hinpilgern. Besonders ergriffen wird der Betrachter von der Darstellung des „Letzten Abendmahles” und der rechts vom Altar befindlichen „Kreuzabnahme”, die aus einem Stück Lindenholz geschnitzt ist: bei beiden Kunstwerken hat sich der Meister selbst übertroffen! Die Apostel beim „Letzten Abendmahl” wirken sehr realistisch, der Meister hat sie vermutlich nach damals lebenden Vorbildern geschnitzt.

Wie Restaurator Kotrba bemerkte, hat Meister Paul von Leutschau auch den Barbara-Altar der Kirche in Neusohl und einige kleinere Altäre in der Umgebung von Levoča geschnitzt. Seine Gesellen, von denen jeder wohl auch ein Meister im Bildschnitzen gewesen sein muß, stammten aus Siebenbürgen. Woher aber Meister Paul selbst kam und wohin er ging, wo seine letzte Ruhestätte sein könnte, konnte niemals festgestellt werden, Sein unschätzbar wertvolles Werk aber hat die Stürme der Zeit überdauert und wird der Nachwelt erhalten bleiben dank der ebenfalls meisterlichen Arbeit des bescheiden im Hintergrund stehenden Restaurators, die durch die öffentliche Hand finanziell gestützt wurde.

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