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Man sieht die Akademie vor lauter Schülern nicht

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Die Akademie der bildenden Künste in Wien veranstaltet zum Jahreswechsel eine Ausstellung, die „Rückblick und Ausblick“ heißt und die in den Jahren 1945 bis 1954 geleistete Erziehungsarbeit überblicken helfen will. Sie geht diese Aufgabe nicht sehr glücklich an, denn sie zeigt nur ausgewählte Arbeiten einzelner Schüler. Erziehungsmethoden, auch ein allmählicher Fortschritt durch Gegenüberstellung von Anfangsarbeiten mit reiferen, werden nicht demonstriert. Man sieht, daß Moldovan aus der Meisterschule für Malerei von Prof. Sergius Pauser hervorging, Mikl aus der Klasse Professor Dobrowsky kam, während Lehmden, Fuchs, Hutter und Fruhmann bei Albert Paris Gütersloh in die Schule gingen. Aber es wird nicht deutlich, was die Schüler von ihren Lehrern gelernt haben, was dieser oder jener in seiner Klasse mitbekam. Von der Ernte der Klassen Robin C. Andersen und Franz Eisner könnte man sich noch den einen oder anderen Namen notieren. Noch weniger klar ist, was die Schule für Kunsterziehung (Prof. Christian L. Martin) will und was sie vermittelt hat. Eingeschmuggelt hängen einige Bilder der Schule Prof. G. Matejka-Felden daneben und dazwischen, in der Hauptsache Blumen-srücke, die nur als abschreckende Beispiele verstanden werden können. Konventionell ist der Ertrag der Meisterschule für Bühnenbildnerei (Professor Emil Pirchan), unter deren Schülern Gerhard Hruby hervorragt. Von den beiden Meisterschulen für Architektur hat die von Wotruba mit den gezeigten Arbeiten von Heidi, Pillhofer, Wander Bertoni und Erich Müller Uebergewicht. Die beiden Meisterschulen für Architektur (Clemens Holz-meister und Lois Welzenbacher) schwelgen in Phantasiearchitektur, die nie gebaut werden wird. Das ist schade, daß hier ins Leere geplant wird; viele der sauber und begabt durchgeführten Skizzen würden wir gerne verwirklicht sehen.

So bietet die Ausstellung zunächst ein etwas verwirrendes Bild. Man sieht die Arbeiten einer Reihe von Schülern, die längst zu selbständigen Künstlern geworden sind aber man sieht die Akademie vor lauter Schülern nicht, und man sieht vor allem kein „Erziehungsergebnis“. Die interessantesten Bilder stammen von Schülern, die schon seit Jahren der Akademie entwachsen sind und sich selbständig weiterentwickelt haben. Wir erinnern uns, daß Moldovan ein Jahr in Paris studierte und daß er bei seiner Rückkehr Bilder mitbrachte, die eine neue Stilphase zeigten. Diese Ausstellung kann das nicht zeigen, weder bei ihm noch bei anderen. Sie wird auch niemand berühmt machen. Die meisten der ausgestellten Künstler sind, soweit überhaupt, schon auf eigene Faust bekannt geworden, ohne Hilfe der Akademie.

Eine besondere Note in der Ausstellung hat der Abendakt in der Klasse Boeckls; hier wird der Weg zur Form sichtbar. Eine Erziehung zur bildenden Kunst verlangt vor allem anderen Bildung. Bildung durch eine geistige Instanz, an die man sich halten kann, durch eine Instanz, die Tradition, gesellschaftliche Bindung und geschichtlichen Zusammenhang bewußt macht. Unsere Zeit ist eine sehr abstrakte Zeit, die alles auf eine einfache Formel bringen möchte, ja, sie ist ihrem Wesen nach bilderfremd. Einer solchen Zeit Bilder zu geben, in denen eine Synthese aus Tradition und Zeitformel Gestalt wird,ist Aufgabe der Künstler. Solche Künstler zu erziehen aber Aufgabe einer Akademie der bildenden Künste. —

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