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Schliemann-Schatz nach Wien?

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Wilfried Seipel, Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums, hofft noch immer, Schliemanns „Schatz des Priamus" in Wien zeigen zu können.

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Wilfried Seipel, Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums, hofft noch immer, Schliemanns „Schatz des Priamus" in Wien zeigen zu können.

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dieFurche: Nach jahrzehntelangem Leugnen, die zum Schutz vor Luftangriffen im Berliner Flakturm am Zoo gelagerten Schatzfunde Heinrich Schliemanns 1945 verschleppt und in Moskau versteckt zu haben, macht das Moskauer Puschkin-Museum ab 16. April 1996 260 Pretiosen aus der Sammlung trojanischer Altertümer in einer Ausstellung öffentlich zugänglich. Bekanntlich waren Sie der erste, dem gegenüber die Direktorin des Puschkin-Museums, Irina Antonowa, zugegeben hat, die 1881 von Schliemann „dem deutschen Volk als Geschenk zu ewigem Besitz und ungetrennter Aufbewahrung in der Reichshauptstadt" überlassenen Objekte zu besitzen. Sie waren auch der erste, mit dem Frau Antonowa darüber gesprochen hat, die Prunkstücke ausstellen zu dürfen Wie kam es dazu?

Wilfried Seipel: Irina Antonowa war im März oder April 1993 zu einer Ausstellung des Puschkin-Museums nach Wien gekommen. Ich lud sie zu einem Kaffee ein und ließ im Verlauf des Gesprächs die Bemerkung fallen, Kulturminister Jewgeni Sidorow hätte vor einigen Tagen in Bonn im Rahmen einer Pressekonferenz erklärt, in Moskau befänden sich Abermillionen • Beutestücke, die von der sowjetischen Trophäen-Brigade beschlagnahmt worden seien. Ich fragte sie, ob sich darunter auch der „Schatz des Pria-mos" befinde und ob sie ihn jemals gesehen habe. Frau Antonowa sagte zunächst weder ja noch nein. Sie zeigte sich aber schließlich nicht abgeneigt, das trojanische Gold - die Zusage Sidorows und eine heimische Erstpräsentation vorausgesetzt - auf neutralem Boden vorzustellen. Das Kunsthistorische Museum käme dafür aufgrund seiner Bedeutung in Frage.

dieFurche: Warum und mit welcher Begründung hat Frau Antonowa ihre Zusage dann wieder zurückgezogen?

Seipel: Zwei Monate später, zum Zeitpunkt meiner Moskau-Reise, hatte sich die Situation schlagartig verändert. Jewgeni Sidorow wollte den 1873 von Heinrich Schliemann gefundenen Schatz des Priamos mit den bekannten Ohrgehängen, Reifen, Lockenringen, dem sogenannten Diadem der Helena sowie goldenen Gefäßen auf keinen Fall außer Landes bringen lassen. Damals hatte sich der Bericht eines russischen Mitarbeiters der amerikanischen Zeitschrift „Art I^Jews", Konstantin Akinscha, allenthalben herumgesprochen. Aus ihm war zu entnehmen, ein Kustos des Puschkin-Museums habe bereits 1987 die Inventarlisten der wichtigsten Kunstwerke einschließlich des großen Troja-Schatzes im Sonderdepot des Puschkin-Museums entdeckt. Unterschrieben waren die Akten laut Akinscha von der damaligen Chefin des Puschkin-Museums, Nora Eliasberg. Auf einem Foto war neben drei koffergroßen Kisten auch eine seinerzeitige Kustodin abgebildet: Leutnant Irina Antonowa, die jetzige Direkterin. Und die Kisten enthielten die 1941 von Wilhelm Unverzagt, dem Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin, verpackten legendären Pretiosen. Zunächst im unterirdischen Tresor der Preußischen Staatsbank, dann zusammen mit der Büste der ägyptischen Königin Nofretete und dem Fries des Per-gamonaltars im festungsgleichen Flakturm am Zoo ausgelagert, galten sie seit 1945 als verschollen. Jetzt, im Mai 1993, erhoben die Türken, die Griechen und die Bundesdeutschen Bestitutionsansprüche, während das russische Kulturministerium sämtliche Beutegüter als letzte Früchte des Sieges und als Kompensation für die Kriegsverluste der Sowjets behalten will. Man weigerte sich deshalb, über die Rückgabe dieser Objekte an das Berliner Museum für Ur- und Frühgeschichte überhaupt zu verhandeln.

Auch Griechenland sollte sie trotz einer vagen Ausstellungszusage Jelzins nicht bekommen, stammt doch der Goldschatz nicht aus der literarisch überlieferten Zeit des Trojanischen Krieges, sondern ist um mehr als tausend Jahre älter. Mit dem griechischen Mythos hat er also nichts zu tun. Und die Ansprüche der Türkei, die entbehren ebenfalls jeder Grundlage. Schließlich überwies Schliemann, der den Schatz heimlich außer Landes gebracht hatte, nach einem aufsehenerregenden Prozeß letzten Endes statt der Geldstrafe von 10.000 Goldfrancs dem Museum von Konstantinopel die fünffache Summe und durfte ja auch bereits vier Jahre später wieder in Troja graben.

dieFurche: Was hat dies alles mit einer mehr oder minder endgültig verweigerten Präsentation in Wien zu tun?

Seipel: Angesichts des internationalen Tauziehens meinte Sidorow wohl, ich könnte ihm - ähnlich wie die Griechen, denen Jelzin im Rahmen einer Tischrede die Ausstellungspremiere in Schliemanns ehemaliger Athener Villa versprochen hatte -nicht genügend Sicherheitsgarantien für die Bückführung der trojanischen Funde geben.

dieFurche: Ich glaube gehört zu haben, Karl Goldmann, der jetzige Oberkustos des Berliner Museums für Vor-und Frühgeschichte, wo der um 2450 vor Christus entstandene „Große Schatz von Troja" bis 1939 ausgestellt war, habe Irina Antonowa unabhängig von diesen Geschehnissen ersucht, die Objekte sehen und ihre Identität überprüfen zu können Hat man dem nachgegeben?

Seipel: Ja. Im Oktober 1994 hat man ihm und drei weiteren Museumsangehörigen die umstrittenen Stücke gezeigt: Einige Goldgefäße auf einem Silbertablett im Konferenzraum des Puschkin-Museums. Weitere Stücke in einem mit vielen Kisten vollgestopften, engen Baum unter dem Dach. Dem Vernehmen nach konnte sich der deutsche Wissenschaftler davon überzeugen, daß es sich dabei um die Originale aus Berlin handelt.

dieFurche: Werden Sie die Ausstellung im Puschkin-Museum besuchen? Und wollen Sie neuerdings über eine Präsentation in Wien verhandeln -trotz der derzeitigen Budgetkrise in Österreich?

Seipel: Ich werde selbstverständlich die Schau besichtigen. Und gebe die Hoffnung nicht auf, den Schatz in unserem Haus zu zeigen. Als Optimist, der ich nun einmal bin, glaube ich an die Einsicht des russischen Kulturministers. Die Finanzierung einer derartigen Sonderausstellung könnte aufgrund der Teilrechtsfähigkeit des Museums erfolgen. Außerdem wünsche ich mir eine erweiterte Teilrechtsfähigkeit. Konnte ich doch schon allein mit dem Museumsshop, dem Katalogverkauf, dem Fotoverleih und mit Sponsorengeldern bislang 50 Millionen Schilling erwirtschaften. Dürfte ich auch über die Eintrittsgelder verfügen, hätte ich nicht nur einen größeren Spielraum. Ich könnte dann auch die Zuschüsse des Bundes verringern. Nur: Bei baulichen Sanierungen muß der Bund auch weiterhin einspringen und er wird - schon im Hinblick auf das Image Österreichs - den bereits versprochenen unterirdischen Ausbau des Maria Theresien-Platzes nicht als unbezahlbar abhaken. Zuletzt möchte ich noch darauf hinweisen, daß meine erste Ausstellung aus den Mitteln der Teilrechtsfähigkeit 1991 dem „Gold aus dem Kreml" gewidmet war. Sie wurde ein großer Erfolg - vor allem, weil Moskau bereit war, zum ersten Mal Exponate über die russische Religiosität, Geschichte und Kunst vor einem westlichen Publikum auszubreiten.

Das Gespräch führte

Hedy Grolig.

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