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Damals, vor tausend Jahren

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„Alle Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig.“ Solche oder ähnliche Bemerkungen lieben manche Autoren ihren Romanen vorauszuschicken, wenn sie deren autobiographische Elemente verwischen wollen. Otto Horn wollte das Gegenteil. Er wählte die Form eines Romans, um über zwei Jahrzehnte später vom Schicksal einer bisher wenig bekannten Widerstandsgruppe junger Österreicher, der sogenannten „Mischlingsliga“, Zeugnis zu geben. Gleichzeitig legt er, gleichsam vor der Öffentlichkeit, Rechenschaft über seinen eigenen politischen Werdegang ab.

Früh fallen die Würfel. Das gilt wohl für alle Generationen. Vor allem aber galt es für jene Generation, der der Autor wie auch der Rezensent angehören. Am Abend des 11. März erfuhr der Sohn eines ehemaligen Kaiserjägerofnziers und Angehöriger verschiedener katholischer Jugendorganisationen, daß der Vater ein getaufter Jude, daß er also nach den Gesetzen der neuen Herren künftig ein „Mischling ersten Grades“ sein wird. Zu der ohnmächtigen Wut über das untergegangene Vaterland kam noch das Gefühl, zu den Parias der „neuen Zeit“ zu gehören, die da mit Schellentoaum und Marschtritt über die Straßen Wiens ihren Einzug hielt. Der Raub des elterlichen Zuhauses durch Ariseure, frühe Bekanntschaft mit den Gefangenenhäusern des NS-Regimes bestärken den jungen Gymnasiasten nur in seiner Entschlossenheit, der Gewalt Gewalt entgegenzusetzen. Er macht sich auf die Suche nach Gleichgesinnten. Zunächst findet er sie unter den Kongregationisten des Schattengymnasiums. Mit ihnen macht er die bekannte Demonstration der katholischen Jugend am

7. Oktober 1938 im und außerhalb des Stephansdoms mit. Als die Gruppe „auffliegt“, sucht er neue Kontakte. Er findet sie, mehr durch Zufall, in der Person eines Bezirksleiters des illegalen kommunistischen Jugendverbandes. Damit fallen die Würfel für den politischen Lebensweg des späteren kommunistischen Journalisten Otto Horn, der freimütig bekennt, daß er ursprünglich am liebsten 1938 ausgewandert wäre, da er fürchtete, daß nach den Nationalsozialisten die Kommunisten in Österreich zur Herrschaft gelangen würden. („Wenn die Nazis geschlagen sind, werden die Kommunisten kommen“, S. 165.) Von den Aktionen, die er gemeinsam mit seinen neuen Freunden unternimmt und die mit der halbmilitärischen Organisation von der mehrere Hundert Personen umfassenden „Mischlingsliga“ ihren Höhepunkt fand, berichtet dieser Roman, er erzählt von Kampfbereitschaft, aber auch von Verrat und Todesangst. Hohes und Niedriges wohnten damals noch enger wie zu allen Zeiten Tür an Tür. Die Atmosphäre des „Untergrunds“ war in allen weltanschaulichen Gruppen dieselbe. Ein Buch für junge Menschen des Jahres 1967. Vornehmlich für solche, denen heute oft „so fad“ ist.

VERURTEILT ZUM TODE. Dokumentarbericht über die Seelsorge im Gefängnis des Wiener Landesgerichte« 1941—1944. Jugend-dienst-Verlag, Wuppertal. 105 Seiten, DM 8.80.

Viele Leser der „Furche“ erinnern sich noch an die aufrüttelnde Doku-mentarserie „Das Urteil wird jetzt vollstreckt...“, die unser Blatt vor zehn Jahren („Die Furche“, 9. März bis 13. April 1957) veröffentlicht hat. Der evangelische Pastor Hans Rieger berichtete darin seine Erlebnisse als Gefängnisseelsorger des Wiener Landesgerichtes in düsterer Zeit. Gläubige und Ungläubige, evangelische Christen und Katholiken, aber auch Kommunisten begleitete er auf ihrem letzten Weg, Freiheitskämpfern' und wegen des Diebstahls von einigen Hühnern Verurteilten stand er in ihrer schwersten Stunde bei. Nun liegt Pfarrer Riegers Bericht aus einer Zeit ohne Gnade auch als Broschüre vor.

P. S. Eigentlich eine Schande, daß wir für beide Zeugnisse aus einer Zeit, die nun wirklich die berühmten „tausend Jahre“ zurückzuliegen scheint, keine österreichischen Verlage als Herausgeber angeben können.

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