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Der Aktienspekulant

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Wie das Schicksal so spielt. Oder der Zufall. Oder die vielgepriesene Flexibilität. Oder vielleicht doch eher die gute Beratung. Jedenfalls ging Herr Graumeier, ein rüstiger Fünfziger mit wenigen grauen Haaren, eines österreichischen Tages zu seiner Bank. Auf seinem Sparbuch lagen die Ersparnisse seines Lebens, einige hunderttausend Schilling. Und Herr Graumeier, der in den letzten Jahren die Währungs- und Wirtschaftspolitik seines Landes wenig verfolgt hatte, wollte sich die Zinsenerträge seiner finanziellen Lebensreserve gutschreiben und noch einige tausend Schilling dazulegen lassen.

Der Mann am Bankschalter führte das Sparbuch routiniert durch den Schlitz des Buchungscomputers, Graumeier betrachtete den Ausdruck und runzelte die Stirne. Da gerade kein anderer Kunde am Schalter war, blickte der Schalterdiensthabende auf und sah die Enttäuschung in der Miene Graumeiers. „Ja, leider!", fühlte sich der Bankmann zu Trost verpflichtet. „Mager!", entgegnete Graumeier. So kamen sie ins Gespräch und so wanderte er schließlich ins Beratungsbüro, wo ihm ein dienstfertiger höherer Bankangestellter den Umstieg vom Sparbuch auf ertragreichere Geldanlagen empfahl. Die Auswahl war reich und verwirrend, von Bentenanlagen, Fonds, Devisen, Optionen und Aktien war die Bede, von Sicherheiten und Bisiken und dergleichen, gewissermaßen ein Schnellkurs in jenem Bank- und Wirtschaftslatein, welches Graumeier bisher versäumt, aber dank der Erklärung seines Gegenübers rasch begriffen hatte.

Kurzum, Graumeier beschloß „einzusteigen". Und zwar, weil ihm da Information und Bisiko-Abschätzung am leichtesten und übersichtlichsten erschien, in Aktien des Unternehmens in dem er beschäftigt war. Er fühlte sich dabei auch ein wenig stolz. Er war jetzt, wenn auch ein sogenannter Kleinaktionär, Mitbesitzer der Progressinger AG, deren Gabelstapler er täglich an den Begalen entlangführte.

Graumeiers Wirtschaftsdenken war erwacht. Die Aktien stiegen mäßig, aber regelmäßig. Die Bank übermittelte ihm eines Tages die Einladung zur Generalversammlung des Unternehmens. Graumeier ging hin, fand sich unter feierlichen Nadelstreifen, und hörte Berichte und Beden. Der Anstieg der Kurse (dezenter Beifall) sei der Bationalisierung zu verdanken, die konsequent fortzusetzen sei. Der Personalstand sei zu hoch und müsse um weitere zehn Prozent gekürzt werden.

Die Börse vernahm's jubelnd, der Kurs stieg sprunghaft, die Dividende war erfreulich. Graumeier hatte richtig disponiert und erntete wesentlich mehr als einst auf seinem Sparbuch. Aber unglücklicherweise gehörte er eine Woche später zu den eingesparten zehn Prozent der Belegschaft. Leistungsfähigere Gabelstapler mit billigeren Jungfahrern wurden eingesetzt. Graumeier traf es psychisch hart. Die Geschichte seiner Enttäuschung, Langzeit- und Altersarbeitslosigkeit, seiner vergeblichen Umschulungen und schließlich seiner Frühpensionierung sei hier nur am Bande erwähnt. Denn es geht ja um Wirtschaft.

Graumeier nämlich, nach Lektüre einschlägiger Literatur weiter gebildet, durchschaute alsbald den Zusammenhang von Personalreduktion und Aktienkurs. Er investierte seine Abfertigung und seine restliche Barschaft in die Aktien der Progressinger AG, denn er hatte erfahren, daß diese ihre Bationalisierung weiter und rücksichtslos fortsetzen werde.

Und er lag richtig. Die Kurse und die Dividenden stiegen. Die Erträge fetteten seine etwas kärgliche Frührente so reichlich auf, daß er jetzt mehr verdiente als damals, als er mit dem Gabelstapler täglich die Begale bediente. Er verdiente an seiner eigenen Entlassung.

Ich habe diese Geschichte, die leider nur erfunden ist, einem Sozialexperten erzählt und ihn gefragt, welchen Sinn die Arbeit heutzutage noch hat. Er verwies mich an einen Wirtschaftsexperten. Und dieser bestätigte mir, daß Graumeier flexibel und richtig gehandelt habe. Eine Portion Glück gehöre freilich auch dazu. Denn so tüchtig wie die Firma Progressinger sei nicht jede.

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