6554743-1948_15_09.jpg
Digital In Arbeit

Der Kessel von Moena

Werbung
Werbung
Werbung

In meinem Tiroler Kriegstagebuch steht mit dem Datum vom 22. August 1915 vermerkt: „Man hat midi aufgefordert, Zeuge der Ablieferung sämtlidier Kupferkessel im Fassatal zu sein. Damit verschwindet, dem Gesicht der Zeit nadi, ein ehrwürdiger Gegenstand, der kaum jemals wieder erscheinen wird. Ich begab midi in Begleitung eines Oberleutnants, eines Finanzbeamten, eines Schatzmeisters und eines Gendarmen in einem Dienstauto von Vigo di Fassa nadi Moena. Auf dem kleinen, offenen Platz vor dem Gasthaus „Zur Post“ sammelten sich die Leute hausnummerweise. Nirgends gab es Widerspruch, alles ging glatt. Manche der Bauern nahmen für Kessel und Geschirr bis zu hundertfünfzig Kronen ein. Binnen kurzem wurden Tausende von Kronen ausbezahlt.“

Hier bricht die Aufzeichnung ab, ich hatte keine Gelegenheit mehr, das Weitere nachzutragen, und es schien mir auch später nicht nötig; ich wußte ja, es werde mir, was sich weiterhin zutrug, dauernd im Gedächtnis bleiben, der Stimmung und dem Geschehnis nach. Ich will es nunmehr, nadi länger als dreißig Jahren, hier wieder erstehen lassen.

Wir saßen also vor einem Tischchen, das wir mitten auf den Platz gestellt hatten. Es war an einem jener hellen, ein wenig kühlen Dolomitennachmittage, die kein Reisender vergißt, der sie jemals erlebte. D;e nahen Wiesenhänge sahen wir mit Krokus übersät, darüber die Wucht der schwarzgrünen Wälder und höher darüber die strahlende Sella, Hermelin des Neuschnees um die königlichen Schultern. Unaufhörlich vernahmen wir das sanfte Grollen ferner Geschütze, eine wunderliche Sprache in dieser auf Erhabenheit und Frieden gestellten Natur.

Da ein ziemlich lebhafter Wind ging, hatten wir faustgroße Steine auf die Haufen von Banknoten gestellt, damit sie uns nicht entflögen.

Österreich hatte heute nicht nur Kriegstag hier im Fassatal, es hatte auch Geschäftstag. Es kaufte den Bauern ihr Kupfer ab, denn es benötigte dieses zu mancherlei notgedrungenen Zwecken, vor allem zu guten Führungsringen für seine Granaten und Schrapnelle. Es kaufte, das heißt es war den Leuten befohlen worden, was immer sie an altem oder neuem Kupfer besäßen, an diesem Tag zu Tal zu führen. Und jedermann wußte, es gäbe hier keinen Widerstand.

So kamen also die Männer und Frauen, fast durchweg alte Leute, denn die Jugend stand ja im Feld, aus ihren Berghöfen herab und brachten aus den Küchen mit, was sie dort an Kupfer besessen hatten, zumeist ihre großen Wasserkessel mit dem eisernen Bügel, Urväterhausrat, oft mit altem, graviertem

Zierat versehen, zum Abschied noch blank gescheuert, in der Sonne wehmütig blinkend. Man konnte Wohlhabenheit von Armut wohl unterscheiden, je nach der Last, die jeder trug, und einige mochten auch reich sein, denn sie fuhren ihre Kessel in vollgeladenen Karren zu Tal.

Der Sdiätzmeister hantierte mit der Waage und rief das Gewicht aus. Das Gesdiäft ging flink, auf Gramme kam es nicht mehr an, es ging nach der Masse. Der Finanzbeamte zahlte bar, gutes, neues Geld, damals nodi siegreiches Geld. Den Bauern kam der Preis, den sie erhielten, offenbar phantastisch hodi vor, sie strichen ihn zufrieden nickend ein. So war Zufriedenheit auf allen Seiten.

Berge von Kesseln, Kannen und Töpfen begannen sich vor uns aufzutürmen, und nun wurden sie in Körben in eine nahegelegene Scheune gebracht. Dort aber begann jetzt ein grausames Morden. Der Sdimied des Ortes, ein Riese, schlug mit dröhnendem- Hammer auf alles ein. Gestalt, Bestimmung, Nützlichkeit, das hatte jetzt alles keinen Sinn mehr, es wertete nur nodi der Stoff. Und den galt es, vom Eisen zu trennen and von allem, was sonst nidit kupfern war. Die Schläge gingen hart und das Kupfer schrie.

Und es schien jetzt, als horditen die Bauern auf. Was ward mit jedem Streidi hier nicht zerschlagen! Gewohnheit, stille Verbundenheit, das Herdglück vieler Geschlechter. Das Geld auf unserem Tisch erschien uns jetzt als etwas Kaltes, Feindl.ches, es war noch mächtig, gewiß, wie es das immer ist, aber zugleidi auch fremd und lebensleer, und die Bauern, die nun mit ihrem Kupfer noch an die Reihe kamen, sie nahmen die Banknoten wohl an, doch sie niduen nicht mehr dazu.

Das Hämmern ward indessen immer wilder, der Schrei des Kupfers immer klagender, den hochgewachsenen Schmied in der Sdieunc schien ein Taumel blindwütiger Zerstörung erfaßt zu haben, obwohl er gar nidits anderes tat als seine Pflicht. Und so gab er uns kein übles Sinnbild des Krieges ab, der auch zerstört, aus Pflicht sozusagen und -im Wahn, damit ein Neues irgendwie aufzubauen.

So friedlich es auch begonnen hatte — was uns hier in die Ohren drang, das war kein idyllisches Geschäft mehr, es war gesättigt vom Krieg und seiner grauenhaften Entschlossenheit. Die Bauern standen im Kreis herum, sie sdiienen blasser als vorher, sie blickten verbissen, und es war, als verspürten sie dieses Dröhnen, Hieb auf Hieb, wie Schläge auf ihr Heim, auf ihr Glück, auf ihr eigenes Land.

Indessen ging die Waage auf und nieder, der Finanzbeamte brüllte, denn sonst hätte man ihn nicht vernommen, und die Banknoten auf dem Tisch nahmen zusehends ab. Und da hörten wir nun plötzlich inmitten des Lärmens eine helle, klagende Frauenstimme. Es wandte sich alles dem Eingang des Ortes zu. Von dort kam eine alte Bäuerin, von einem Gendarmen geführt. Er zog sie ein wenig unsanft mit sich fort, sie weigerte sich, zu uns heranzukommen. Dodi

@@@hilf ihr das wenig, der Gendarm war wesentlich stärker.

Der Zusammenhang schien ans klar: der Gendarm hielt nämlich in der frei gebliebenen Hand einen Kupferkessel, den wollte die Alte offenbar nicht hergeben.

Der Widerstand des Weibes aber, so wollte uns nun erscheinen, war doch tiefer, elementarer, als ob es ihr lediglich um den Kessel ginge. Es war nicht Klage um Besitz allein, was wir aus ihrem Weinen und Schreien zu vernehmen glaubten, es waren Töne einer seelischen Angst, irgendeiner Qual des Herzens, die wir tins nicht zu deuten wußten.

Inzwischen stand der Gendarm vor uns, das Handgelenk der schreienden Alten noch immer fest umklammert. Sie warf uns feindselige Blicke zu. Wir konnten nicht verstehen, was sie uns weinend zurief. Der Gendarm verdeutschte es uns:

„Sie will den Kessel nicht hergeben, denn sie fürchtet für ihren Sohn."

Wir sahen ihn verständnislos an.

„Ihr Sohn dient nämlich drüben beim Feind“, fuhr der Gendarm fort. „Sie fragte midi: ,Was geschieht mit dem Kessel? ,Wir brauchen das Kupfer für die Granaten', antwortete ich. Da fing sie gleich zu schreien n: ,Ich geb ihn nicht her, ihr schießt mit den Granaten auf meinen Sohn!“ Da konnte ich nichts anderes tun, als sie verhaften.“ So schloß achselzuckend der Gendarm.

Wir merkten ihm an, daß sein Dienst ihm diesmal nicht leicht fiel. Indessen sudite die Frau, sich immer lebhafter erregend, den Kessel an sich zu reißen. Sie, die Wehrlose, Schwache, gänzlich Ohnmächtige, sie hatte, daran war nicht zu zweifeln, hier plötzlich ihren eigenen kleinen Krieg erklärt gegen den großen Krieg der beiden erbitterten Gegner.

Sie schien von ihrer Idee durchaus besessen und schien auch bereit, für sie sidi zu opfern.

@@@Alfred Buttlar-Moscon

Mir aber war es in diesem Augenblid?, als stünden wir alle auf einer Bühne, im Vordergrund die tragische Gestalt der Mutter, daneben wir, die Mithandelnden, dahinter der Chor des Volkes. Und nun geschah es plötzlidi, daß auch letzterer nicht unbeteiligt blieb. Wir hörten zunehmend erregtere Rufe aus der Schar der Bauern: „Gebt der Mutter den Kessel zurück!“

Wir sahen uns an und nickten uns dann verständnisvoll zu.

„Wird wo..! das Gescheiteste sein“, sagte der Oberleutnant.

„Auf den einen kommt es nicht mehr an“, meinte der Schatzmeister.

„Wir haben ohnehin mehr, als wir erwarteten“, bestätigte der Finanzbeamte.

„Also lassen wir sie laufen“, schlossen wir gemeinsam.

Da ließ der Gendarm die Hand der Alten los und deutete ihr an, sie könne nun wieder heimkehren mitsamt ihrem Kessel.

Sie sah uns einen Augenblick wie entgeistert an, dann schrie sie etwas, was offenbar ihr Dank sein sollte, und lief eilig mit ihrem Kessel fort.

Die Menge teilte sich vor ihr und ließ sie schweigend durch, wie etwas Unantastbares, die Mutter des „feindlichen“ Sohnes. Man hörte ihr Weinen und Schluchzen noch von weitem, da sie in Hast jenen Wiesenhang hinauflief, der ganz mit Krokus bestanden war, worüber dann die schwarzgrüne Wucht der großen, schweigenden Wälder aufstieg, am die sich schon die Schatten des Abends breiteten.

Die strahlende Sella aber trug nun keinen Hermelin mehr um die königlichen Schultern. Sie hatte sich ganz in den Purpur des scheidenden Tages gehüllt und schien nun wie ein Sinnbild unirdischer Ferne und Erhabenheit, die unser bißchen menschlicher Zwiespalt und Wahnwitz nicht weiter berührte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung