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Der Mensdienretter

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Jeder im kleinen Zutphen wußte, wo der Menschenretter wohnte. Es hing ja ein großes Schild an seiner Tür mit dem Wort: Menschenretter, in deutlichen weißen Buchstaben.

Es ist sehr schwer, im wasserarmen Zutphen, das nur von einem kleinen Kanal durchschnitten wird, ein Menschenretter von Bedeutung zu sein. Und daß Konrad Bernhard (im Volksmunde und auch auf den Zigarrenbändchen heißt er einfach Konrad) dieses dennoch geworden ist, verdankt er, außer seiner zähen Arbeitskraft, auch der ungemein günstigen Lage seiner Wohnung, die sich gerade in der Bucht des kleinen Kanals befindet, so daß der 'Menschenretter von seinem Fenster aus das Wasser in beiden Richtungen überblicken kann. Er macht uns selbst auf, der liebenswürdige Kerl. Er muß dies freilich schon tun, denn er wohnt allein. Es stimmt traurig, zu bedenken, daß der Mann, der Hunderte von Frauen mit seiner Dregge auffischte, selber nicht eine Lebensgefährtin hat finden können. Als der robuste und doch ungemein schlichte Retter mir nach dem kleinen Zimmer vorgeht, wo er wohnt, höre ich die Abzeichen auf seiner Brust klirren, wie wenn ein Karrengaul mir vorausgehe. „Ja“, sagt Konrad, während sein Blick mit Wohlgefallen auf seiner Brust ruht, „fünfundneunzig Abzeichen und alles ehrlich mit Ertrinkenden verdient. Das ist kein Pappenstiel.“ (Der Ausdruck „es ist kein Pappenstiel“ wird nur in Menschenretterkreisen gebraucht, und zwar beim Hochwasser, um anzudeuten, daß eine Rettung sich schwer vollziehen wird.) „Die dicken aus Bronze“, sagt Konrad, indem er mit der Hand klirrend über die Brust wühlt, „das sind Abzeichen, die ich mit erwachsenen Ertrinkenden gewonnen habe. Ein ganz fettes für drei Erwachsene auf einmal und diese leichteren für Stückarbeit. Die schmalen mit gekerbtem Rand verabreicht man bei einer weiblichen Ertrinkenden. Davon habe ich achtundfünfzig. Diese aus Blech sind für Kinder unter 14 Jahren. Wir, Menschenretter unter uns, nennen das den Kleinfang.“

Ich stand erstaunt ob dieser haarkleinen Unterscheidung. „Dies alles macht der Bund“, sagt Konrad, „der regelt alles. Der will jetzt, daß man an Sonn- und Feiertagen nicht rettet. Ich für meinen Teil bin dagegen. Ich sage immer in der Versammlung: weiterspringen, auch in deiner Freizeit. Aber ich bin für die Bestimmung, auch Ertrunkene mit einem Abzeichen zu belohnen. Man hat genau soviel Arbeit damit, und ob sie nun tot oder lebendig sind, damit haben wir Retter ja nichts zu schaffen.“

„Haben alle Menschenretter sich dem Bunde angeschlossen?“

„Nur die Retter der Binnenschiffahrt“, sagt Konrad, „wir müssen uns wohl anschließen, um gegen die Küstenretter anzukönnen. Die haben die Großfischerei; im Lande aber hat man nur die kleine Dregge-arbeit. Es kommt wohl mal vor, daß ein Ruderboot mit dreien zugleich umschlägt, aber diese Extraprofite sind doch selten. An der Küste aber kneifen sie sich fortwährend in die Hände: es sind immer ganze Schiffe. Dagegen können wir ohne Verfassungsänderung nicht an. Und solange diese Aenderung nicht kommt, müssen wir es mit List machen. Der Vorstand hat nämlich den angeschlossenen Mitgliedern zugestanden, einen bestimmten Teil der Fahrbahndecke mit Schweineschmalz zu bestreichen.“

„Mit was sagen Sie?“

Der Menschenretter antwortete nicht. Seine Augen sahen starr zum Fenster hinaus, die Nasenflügel zitterten. Ich folgte seinem Blick. Dort in der Bucht des Kanals ging ein betagter Herr spazieren. Plötzlich, durch eine unerklärliche Ursache glitt er aus in den Kanal. Der Menschenretter lächelte, entledigte sich seiner Abzeichen, griff eine Di egge von der Wand und lief im Trab hinaus.

Aus dem Niederländischen übersetzt von A. F. C. Brosens

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