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Der neue Adelskrief

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Ein Schüler, der von seinem Lehrer gefragt wurde, was Goethe mit seinem berühmten Vers „Amerika, du hast es besser“ habe sagen wollen, gab die Antwort: In Amerika hat so gut wie jede Familie ihr Auto, denn dort fährt Jeder vierte seinen eigenen Wagen!

Diese Antwort verdient, klassisch genannt zu werden. Der eigene Wagen ist eine' Art Meßgerät der irdischen Glückseligkeit geworden, Inbegriff der Erfüllung, Ausrufungszeichen hinter dem Erfolg. Jedes bessere Preisausschreiben fängt mit einem Auto an, und käme die gütige Fee wieder und stellte drei Wünsche frei, so würden ihre Günstlinge das Auto nicht vergessen, Verschiedene Fremdwörter, die mit „Auto“ anfangen, haben einen neuen Sinn be kommen, So bedeutet Autokratie die absolute Herrschaft eines neuen, vom Auto aufgerichteten Standcsidesls, Autosuggestion ist die Zwangsvorstellung, ein Auto haben zu müssen! sie kann sieh steigern bis zu einer „Auto intoxikation“ genannten Seelenvergiftung. Unter einem Autodidakten hat man einen Autogelehrten zu verstehen, der genau Bescheid weiß mit seinem Wagen, und ein Autograf ist ein Angehöriger des neuen Autoadels, eben ein Auto-Graf, genauer, der Besitzer eines großen Wagens. Das Auto ist nämlich, ähnlich wie in früheren Zeiten das Wappenschild, zum sozialen Gradmesser geworden, so daß man folgenden Tarif machen kann:

Ein kleiner Wagen: respektabler Mann (entspricht etwa dem „von“).

Ein mittlerer Wagen: besserer Herr (entspricht dem Baron).

Ein großer Wagen; vornehmer Herr (entspricht dem Grafen).

Zwei Personenwagen: großer, mächtiger Herr (entspricht dem Fürsten; als Anrede empfiehlt sich „Durchlaucht“).

So angesehen vermochte ein Auto, und seine Macht war groß genug, die menschliche Gesellschaft in drei Klassen einzuteilen: die Klasse derjenigen, die nie hoffen dürfen, ein Auto zu bekommen, die Klasse der nach einem Auto Strebenden und die Klasse derer, die ein Auto haben und ein neues wollen.

Die mittlere Klasse ist sehr zahlreich, sie arbeitet mit verbissener Ausdauer und kennt nur ein Ziel, nur eine Krönung aller Mühsal: den eigenen Wagen.

Für Fußgänger, Radfahrer, Haltestellenwarter und Fahrkartenlöser habe ich verschiedene Tröstungen zusammengestellt. Wer ein Auto hat, hat es auch am Hals! Das Ding verschluckt fortwährend Geld für Steuer, Miete, Reparaturen, Parkwache und Benzin. Spazierengehen kann man allein, hat man aber ein Auto, will immer einer mit. Auch kann man nie inkognito reisen, man wird sofort unter die feinen Leute gerechnet. Mir ist der Reisepaß schon zuviel, aber ein Autofahrer braucht eine Tasche voller Wagenpapiere, einen ganzen dicken AdelsbriefI Schließlich ist er in Gefahr, faul, dick und unbeweglich zu werden.

Aber alle Ueberlegungen dieser Art können der Autokratie nichts anhaben. Unter diesen Umständen ist es reine Torheit, die Frage zu stellen: Macht ein Auto glücklicher? — Selbst-rerständlich! sagen die, die kein Auto haben. Wir hätten auch gern eins. — Wir könnten nicht mehr ohne Auto sein, sagen die Autobesitzer.

Aha, könnte man diesen erwidern, also seid ihr die Gefangenen eures Besitzes! Man könnte auf die stoischen Philosophen hinweisen, die solche Gefangenschaft für das größte Unglück ansahen und der Meinung waren, alles, was die Menge anstaune, seien vergängliche Scheinwerte. Es hätte aber keinen Sinn, Autofahrern mit den stoischen Philosophen zu kommen. Diese Philosophen, würden sie antworten, haben noch kein Auto gekannt!

Einen dieser Autobesitzer habe ich in seinem Urlaub beobachtet, Er war allein, aber er war von den verschiedensten Dingen umgeben, die dauernd etwas' von ihm wollten. Wenn seine Hände das Steuer losließen, schalteten sie das Radio ein oder aus, griffen sie nach dem .Photo-apparat oder setzten das Zelt zusammen. Er batt unaufhörlich etwas vi tun, er kam |ar nieht u sieh selber. Oder war das er selber, all dies Rüder. Hebel, Sehaltknejefi und Stangen?

Dem Wagen nach gehörte er zu den vernehmen Herren, den Autografen. Aber ob er glücklicher war inmitten all der Technik? Ich weiß nicht. Man sah nicht, was in ihm, son dern nur, was u m ihn herum war. Ich werde mir ein Auto kaufen müssen, um zu ergründen, ob ei glücklicher macht,

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