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Der Zufahrtsweg

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Ist es nicht ein müßiges Beginnen, über ein Stückchen steilen und steinigen Zufahrtsweg überhaupt ein Wort zu verlieren? Halt, lieber Freund, dem ist nicht so. Ich gebe zu, daß dich der Grimm gepackt hat, als du von der guten Landstraße abzweigend, das Brücklein überschrittest und nun die steilansteigende Windung des sich in den Berg fressenden Weges vor dir sahst. Du warfst, noch schwer atmend und voller Zorn, den prällen Rucksack auf die Bank vor dem Hause und wartetest voll Ungeduld auf mein Erscheinen, um deinem Mißmute wegen dieses Weges Luft zu machen.

Ich ließ mir Zeit, denn ich wußte, daß mit jedem ruhiger werdenden Atemzuge dein Blick immef freundlicher und froher auf dem tief zu deinen Füßen liegenden Tal, auf den verträumten einsamen Gehöften und auf den sich in der Ferne verlierenden schneebedeckten Höhen ruhen würde, bis du dann nach kurzer Wedle den Weg und die überstandene Mühsal vergessen haben würdest.

Ja, Freund, es ist im Leben schon einmal so, der Weg der zur Höhe führt, ist steil und beschwerlich, köstlich ist aber dafür der Lohn, der auf den harrt, der die Mühe des Aufstiegs nicht scheut. Sieh, Freund, ich hätte schon längst diesen steilen Weg an die Lehne des Berges verlegen können, so daß jedem Besucher in einem sanft ansteigenden Bogen die Mühsal des Erklimmens erspart bliebe, doch mich würde mein Besitztum dann weniger freuen. So muß ich es mir täglich förmlich von neuem erkämpfen und wen die kleine Mühe verdrießt, die der Anstieg erfordert, der soll ruhig unten bleiben, er ist nicht wert, ein schönes Stückchen von Gottes herrlicher Natur zu sehen.

Als Kind nahm ich die kurze Wegstrecke im Laufe, ohne die geringste Müdigkeit zu verspüren. Dafür blieb aber auch der Lohn aus, denn das Tal und die Berge machten wenig Eindruck auf meine Kinderseele, ich war den Anblick gewöhnt. Als Jüngling schleppte ich die Lasten des zusätzlichen Lebensbedarfes im schweren Rucksack aufwärts, und da kam mir schon zum Bewußtsein, daß es zwar beschwerlich, aber trotzdem herrlich sei, in den Bergen, auf der Anhöhe zu leben. Als Mann saß ich nach jedem Aufstieg, so wie jetzt du, eine kurze Weile auf der Bank, und der Rundblick war mir dann überreicher Lohn für die gehabte Mühe. Je älter ich wurde, desto länger wurden auch diese Rasten, dafür konnte ich aber auch mit immer größerem Vergnügen ins liebliche Tal blicken. Es war nicht ein besinnliches Betrachten, sondern ein Suchen und Entdecken, und ich fand immer wieder noch nie bemerkte neue Schönheit.

Jetzt bin ich alt und beschreite den Weg seltener, meistens nur am Sonntag, wenp ich zur Kirche gehe. Mein Aufstieg erfolgt langsam und bedächtig, ich bleibe öfter mitten auf dem Wege stehen, denn ich muß haushalten mit meinem Lebensatem. Dafür kommt mir aber das Ausruhen auf dieser Bank noch köstlicher vor. Ich empfinde es wie ein Geschenk, dessen ich stets von neuem teilhaftig werde, wenn ich dies Stück Heimatlandschaft vor mir liegen sehe.

Verstehst du nun, Freund, daß dieser Weg so bleiben muß wie er ist? Er führt zu keiner Fremdenherberge, sondern zu meinem Heimat- und Vaterhaus und wer ihn freiwillig bezwingt, ist mir willkommen und wert, auf dieser Bank zu sitzen.

Bald wird die Zeit da sein, wo ich das letztemal auf meinen Berg steigen werde. Dann habe ich Muße, so viele Stunden des Tages hier zu verweilen, als es mich nur freut. Ich kann dann ungestört den Anblick meiner Bergheimat genießen und mir dieses liebgewordene Bild so einprägen, daß es mir auch der Tod nicht mehr entreißen kann. Hinunter brauche ich dann nicht mehr zu gehen, denn es werden mich die Meinen auf diesem steilen Zufahrtswege abwärtstragen müssen, um mich im Tale zur ewigen Ruhe zu betten.

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