7137339-1997_51_23.jpg
Digital In Arbeit

Des Professors letztes Lächeln

Werbung
Werbung
Werbung

Was sind schon Litfaßsäulen, was Plakate! Feldkirchen ist eine eher kleine Bezirksstadt, aber als ich im Auto zur fälligen Lesung nach Feldkirchen kam, hing am Geländer der Brücke über die Feldkirchner Au-tostraßenumfahrung ein gut und gern zehn Meter langes, weißes Transparent mit dem Schriftzug „Egyd Gstättner liest!" Das wäre etwas für meine Eltern gewesen! Nach der Lesung im Feldkirchner Amthof - ich hatte unter anderem die Geschichte „Meine Verwandten" vorgetragen, die in der Gegend um Feldkirchen spielt und in der ich einen plötzlichen Todesfall und die Art und Weise beschreibe, mit der die in ihr Schicksal einbetonierten Angehörigen mit diesem Todesfall umgehen - saß ich mit dem Veranstalter, einem überaus agilen fünfundvierzigjährigen Turn-und Deutschprofessor sowie mit dessen Frau und Sohn im Amthofstüberl bei einem Bier zusammen, und er sagte mir, wie zutreffend er die Geschichte gefunden habe.

Genauso todtraurig und urkomisch zugleich seien die Leute und das Leben hier und wahrscheinlich nicht nur hier. Das stimmt wohl. Ich erzählte dem Professor, ich hätte diese in Feldkirchen handelnde Geschichte einmal in Wien im Literaturhaus in der Seidengasse vorgelesen, da war zufällig eine Gruppe isländischer Germanisten anwesend. Nach der Lesung kamen einige Isländer zu mir und sagten, die Geschichte hätte sie frappant an Island erinnert. Ja, lachte der Professor, aus dem Begionalen schöpfend, über das Begionale hinausweisend. Der Tod ist ein klassisch überregionales Phänomen.

Dann erzählte mir der Professor, das Autostraßentransparent hätte er mit seinen Schülern aus Ieintüchern in der Turnstunde gebastelt, die Farbe sei wasserlöslich, und es könne also beim nächsten Dichter wiederverwertet werden. Nichts ist für die Ewigkeit. Er erzählte mir von den Grabungsarbeiten bei seinem Haus, mit denen er gerade beschäftigt war: Als leidenschaftlicher Heimwerker schaufelte er selbst den Schacht für ei -nen Abflußkanal. Er erzählte mir von den übrigen Veranstaltungen im Amthof, von den Plänen für das nächste Jahr und von H. C. Artmann, der auch hier gelesen hat - allerdings noch vor der Erfindung des wiederverwertbaren Autostraßentransparents - und wie allein und verloren der große, alte Mann beim Frühstück in der Frühstückspension gesessen ist. Ich erzählte dem Professor von meiner vortägigen.Lesung in Innsbruck, von Josef Winkler, den ich in Innsbruck anläßlich dieses so betitelten „Wilden Kärntner Abends" kennengelernt hatte, und wie allein und verloren er mir vorgekommen ist; von meinen nächsten geplanten Leseauftritten, von meinem Boman „Untergänge", der demnächst erscheinen sollte und der damit anhebt, daß ich als kleines Kind um ein Haar im Wörthersee beim Schlittschuhlaufen ertrunken wäre, dann aber zur Hälfte, nämlich körperlich gerettet worden bin. Der geistige Prozeß meines ichs hingegen findet seither unter Wasser statt, unter dem Eispanzer. Wäre insgesamt schade um Sie gewesen, schmunzelte der Professor. Aus einem Bier wurden wie gewöhnlich fünf, und wir plauderten noch recht lange miteinander, mußten uns aber im Flüsterton unterhalten, weil im Amthofstüberl gleichzeitig eine Gruppe von Bienenzüchtern vor dem Fernsehgerät saß und auf die Sendung „Kärnten heute" wartete, die einen Bericht über das 100-Jahr-Jubiläum des Feldkirchner Bienenzuchtvereins enthalten sollte.

Viele Bienenzüchter im Amthofstüberl wirkten so betagt, daß sie ohne weiteres Gründungsmitglieder des Bienenzuchtvereins gewesen sein konnten. Auf jeden Fall waren alle schwerhörig und duldeten daher nicht das geringste Nebengeräusch am wichtigsten Tag ihres Lebens, am Tag ihrer Veröffentlichung und Selbstverwirklichung, am Tag ihrer Seligsprechung und Unsterblich-keitssprechung. Der Fernsehbeitrag über das 100-Jahr-Jubiläum der Feld-kirchner Bienenzüchter dauerte 50 Sekunden, wurde mit andächtiger Stille, gefalteten und schwitzenden Händen mitverfolgt, anschließend mit tosendem Applaus quittiert und alle Bienenzüchter im Amthofstüberl waren sehr, sehr stolz, nur der Professor lächelte nachsichtig. Zwei Wochen später sah ich das Bild des Professors beim Frühstück in der Zeitung auf der Begionalseite und las, daß er bei Grabungsarbeiten verschüttet worden ist und seine Gattin und einen minderjährigen Sohn hinterläßt. Die „Untergänge" hat er nicht mehr zu Gesicht bekommen und nicht mehr lesen können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung