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DIE ARISTOKRATIN

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Brüderchen, ich kann Frauen mit Hüten nicht ausstehen! Hat sie einen Hut auf und seidene Florstrümpfe an den Beinen oder womöglich einen Mops im Arm und einen Goldzahn im Munde — dann ist solch eine Aristokratin überhaupt keine Frau, sondern einfach Luft für mich!

Seinerzeit habe ich mich natürlich von so einer Aristokratin bezaubern lassen. Ich ging mit ihr spazieren und führte sie ins Theater. In demselben Theater aber war auch alles aus. Im Theater hat sie ihre ganze Weltanschauung enthült. Zum erstenmal begegnete ich ihr auf dem Hof unseres Hauses. Auf einer Mieterversammlung.

„Woher“, sage ich, „Genossin? Aus welcher Wohnung?"

„Ich“, sagt sie, „wohne in Nummer 7.“

„Bitte schön", sage ich, „wohnen Sie nur weiter dort!“ Und mit einemmal hat sie mir ganz schrecklich gefallen. Zuerst ging ich in dienstlicher Eigenschaft zu ihr. Sozusagen: „Wie steht’s, Genossin, mit der Wasserleitung und dem Klosett? Funktionieren sie?"

„Ja!" antwortet sie. „Es funktioniert alles!“ Und weiter nicht buh und nicht bäh! Schaut bloß ängstlich mit großen Augen. Und hüllt sich enger in ihr Flauschtuch. Und der Goldzahn im Munde glänzt.

Einen ganzen Monat lang ging ich so zu ihr — da wurde sie allmählich zutraulicher. Und gab schon ausführlichere Antworten. Sozusagen: „Ja, die Wasserleitung funktioniert! Danke für die Nachfrage, Grigorij Iwanowitsch!“ Später begannen wir zusammen spazierenzugehen. Kommen wir so auf die Straße raus, will sie am Arm geführt werden. Ich biete ihr meinen Arm, schleppe mich mit ihr ab — rein wie ein Pferd! Zu reden weiß ich natürlich nichts und geniere mich bloß vor den Leuten.

Nun, einmal sagt sie denn auch zu mir: „Was führen Sie mich“, sagt sie, „immer nur auf den Straßen herum? Mir ist schon ganz schwindlig davon! Sie als Kavalier", sagt sie, „und als Staatsbeamter sollten mich lieber einmal ins Theater führen!“

„Das kann man machen!“ sagte ich.

Und gerade am nächsten Tag schickt mir die Partei eine Karte für die Oper. Eine Karte also hatte ich, und die andere spendierte mir Wassjka, der Tischler.

Ich sah mir die Karten gar nicht an, und später stellte es sich heraus: mein Platz war unten im Parterre, Wassjkas aber auf der höchsten Galerie . .. Wir gingen hin. Setzten uns in den Zuschauerraum. Sie auf meinen Platz und ich auf Wassjkas natürlich. Ich sitze also auf dem höchsten Olymp und sehe überhaupt nichts. Und verrenke mir den Hals, obgleich das Stück nichts taugt. Ich langweilte und langweilte mich so eine ganze Weile und ging schließlich runter. Es war gerade Pause. Lind sie lustwandelt schon im Foyer.

„Guten Tag!“, sage ich.

„Guten Tag!“

„Es interessiert mich“, sage ich, „ob hier wohl die Wasserleitung funktioniert?“

„Das weiß ich nicht!“, sagt sie. Und nimmt die Richtung zum Erfrischungsraum. Ich hinter ihr drein. Sie ergeht sich nun im Erfrischungsraum und schielt aufs Büfett. Dort aber steht eine Schüssel. Und auf der Schüssel — Kuchen.

Ich stolziere wie ein Hahn um sie herum. Gegen alle Grundsätze iuckt es mich, den Kavalier zu spielen.

„Wenn Sie Lust haben“, sage ich, „einen Kuchen zu essen, dann genieren Sie sich nicht. Ich bezahle ihn.“

„Merci!“ sagt sie.

Und tritt gleich mit zierlichen verführerischen Schritten zur Schüssel, und — schnapp! greift sie sich eine Cremeschnitte und futtert los. Geld aber habe ich — die Katze müßte weinen! — allerhöchstens für drei Stück. Sie ißt und ißt, ich aber krame voller Unruhe in der Tasche herum, taste mit der Hand und zähle, wieviel Geld ich habe.

Sie hat inzwischen die Schnitten aufgegessen, und — schnapp! holt sie sich einen anderen Kuchenteller. Ich ächzte leise auf vor Schreck. Schweige aber. Wie ein verliebter Gockel drehe ich mich um sie herum — sie aber gurrt wie eine Lachtaube und ist nach Komplimenten begierig.

Ich sage: „Ist’s nicht schon Zeit, wieder in den Zuschauerraum zu gehen? Ich glaube, es hat schon geläutet!“

Sie aber sagt ruhig: „O nein! Nein!“ Und nimmt den dritten Kuchen.

Ich sage: „Ist das nicht ein bißchen viel für die schlanke Linie? Es wird Ihnen vielleicht übel werden?“

Sie aber: „Nein!“ sagt sie. „Mir macht’s nichts aus!" Und greift nach dem nächsten Dessertstück.

Da schoß mir das Blut in den Kopf.

„Leg ihn“, schreie ich, „sofort zurück!“

Sie legte den Kuchen tatsächlich zurück. Und ich sage zürn Wirt: „Wieviel bekommen Sie für drei verzehrte Kuchen?“ Der Wirt aber zeigt eine gleichmütige Visage und spielt den Wichtigtuer. „Von Ihnen bekomme ich“, sagt er, „für vier Stück Kuchen…"

„Wieso denn“, sage ich, „vier? Wo doch das vierte Stück auf der Schüssel liegt!“

„Nein“ antwortet er. „Wenn der Kuchen auch auf dem Teller liegt, so ist er doch schon angebissen und mit den Händen berührt!“

„Wie!" sage ich. „Wo ist er denn angebissen, erbarmen Sie sich. Das ist bloß Ihre seltsame Phantasie!"

Der Wirt aber spielt weiter den Gleichgültigen und hält mir die Faust vor die Nase.

Inzwischen ist natürlich das Publikum zusammengelaufen. Und gibt die Sachverständigen ab. Die einen sagen: Der Kuchen ist angebissen, die anderen natürlich: Nein, er ist nicht angebissen!

Ich kehre währenddessen meine Taschen um — allerhand Dreck fällt mir heraus — und das Volk will sich ausschütten vor Lachen. Mir aber ist gar nicht komisch zumute. Ich zähle das Geld.

Endlich habe ich es zusammengezählt — es reicht haargenau für vier Kuchen. Ach, Väterchen, Mütterchen! Ganz umsonst habe ich Streit angefangen. Ich bezahle und wende mich wieder an meine Dame: „Essen Sie“, sage ich, „den Kuchen zu Ende, Genossin! Er ist bezahlt.“

Die Dame aber rührt sich nicht. Und geniert sich, den Kuchen zu Ende zu essen.

Da aber mischte sich irgend so ein Onkelchen ein.

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