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„Du lügst!... .Du lügst!"

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Irgend etwas hatte mich geweckt. Irritiert und noch schlafbenommen lag ich im Bett und versuchte herauszubekommen, welches Geräusch mich aus holdem Schlummer ... da ... da war es wieder: Stimmen! ... Ich hörte Stimmen von unten! ... Es war jemand im Haus!... Da sprachen doch Leute!... Oder nein: um genau zu sein ... ich hörte nur eine Stimme! ... Eine Frauenstimme unterhielt sich mit einem nicht antwortenden Gesprächspartner! ... Das war doch ... aber natürlich: es war die Stimme meiner Frau! ...

Jetzt erkannte ich sie ganz deutlich. Noch konnte ich nicht verstehen, was sie mit dem frühen Besucher ... oh Gott... vielleicht hatte sie einen Einbrecher gestellt? ... Aber dann hätte ja der Hund angeschlagen ... nein, es konnte kein Fremder sein, Belli lag friedlich auf ihrer Hundedecke vor meinem Bett, hatte zwar auch ein horchendes Ohr nach unten gerichtet, zeigte sich aber nicht beunruhigt. Ich stand auf, bedeutete dem Hund liegenzubleiben, öffnete leise die Tür meines Schlafzimmers.

Hier muß ich erklärend einfügen: meine Frau und ich, wir sind beide sehr eigenwillige und empfindliche Schläfer, haben getrennte Schlafräume. Ich lese oft bis spät in die Nacht, was red ich: wenn nötig oder bei spannender Lektüre auch schon mal bis in den grauenden Morgen. Und meine Frau ... na ja, ohne ihr Böses nachsagen zu wollen ... sie atmet - wenn sie atmet - schon seit Jahren durch verengte Nasengänge, Probleme mit den Nebenhöhlen, flatterndes Gaumensegel und so, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will. Oder anders formuliert: wir hatten zwei Sägewerke im Dorf. Eines am Dorfeingang, das ist der alte Möllner ... und eines im Bett neben mir: das war meine Frau! Kurz gesagt: gelegentlich - vor allem in Rückenlage - schnarcht mein Eheweib wie ein volltrunkener Süßwassermatrose!

Mich und meinen Hund störte das. Also schlafen wir separat. Mein Hund

schnarcht nicht. Und sollte ich gelegentlich die Kreissäge anwerfen: meinen Hund stört das wenig; zumindest hat sich Belli noch nie beschwert.

Aber zurück zum Thema: Ich öffnete die Tür meines Schlafzimmers ... und jetzt konnte ich deutlich verstehen, was meine Frau eben sagte: „Du lügst! ... Ich hasse dich! ... Du lügst!"

Nanu? Mit wem - um Gottes willen - zankte sie sich da in aller Herrgottsfrühe - es war ja noch nicht mal halb neun! - herum?... Wen duzte sie da trotz aller Erregung, die deutlich aus ihrer Stimme herauszuhöen war?

Jedenfalls: der der Lüge Bezichtigte antwortete nicht!

„Wie kann man nur so schamlos übertreiben?", hörte ich jetzt wieder meine Frau. „Das kann einfach nicht stimmen!"

Wer, zum Teufel, trieb sich da mitten in der Nacht in meinem Haus herum und ärgerte mein Weib? Leise stieg ich die Treppen nach unten. Die Stimme meiner Frau war leicht zu orten, sie kam aus dem Badezimmer, in dem ich Licht brennen sah.

„Ich gebe dir noch eine allerletzte Chance..." Oha, jetzt wTtrde es kritisch! Da war ich ja zum richtigen

Zeitpunkt aufgewacht! Es schien sich die Lage dramatisch zuzuspitzen .Sollte ich vielleicht doch besser meine Waffe holen? Wo war die bloß? Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wann ich meinen Bevolver bewußt das letzte Mal in Händen gehabt hatte. Jetzt war es ohnehin zu spät, wieder nach oben zu gehen und nach der Knarre zu suchen.

Mit tränenerstickter Stimme rief meine Frau gerade wieder ein letztes verzweifeltes „Du lügst! ... Du lügst! ... Oh, wie ich dich hasse! ..."

Ich griff im Vorbeigehen im Flur nach meinem Wanderstock, einem knotig-knorrigen Knüppel ... und sprang mitmeinem Kampfschrei ins Badezimmer, wild entschlossen, demjenigen, der meiner Frau so übel mitspielte, eine gehörige Lektion zu erteilen.

Also: ich reiße die Tür auf, brülle, springe ... meine Frau - allein im Badezimmer - stößt einen markerschütternden Schrei aus und fällt vor Schreck fast von der neuen, computergesteuerten Personenwaage, die -wenn man dem Prospekt glauben darf - unbestechlich und aufs Dekagramm genau das aktuelle Gewicht anzeigt.

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