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EIN GEWISSER ZYSCHINSKI

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Damals fand ich keinen Platz, erzählte er mir, obwohl es aufwärts ging mit dem, was man Wirtschaft nennt, mein Beruf — ich bin Nagelchirurg und Zinnfigunengießer — war nicht gefragt, ich wartete. Der Sammer verging, es kam der Herbst, es wurde immer kälter, mein Zimmer wurde kaum geheizt und da ich äußerst w.ärmebedürftig bin, suchte ich jene tadellosen großen Häuser unserer gesegneten Stadt auf, die Banken beherbergen, Kreditinstitute oder irgend eine anonyme internationale Gesellschaft Erwähnen muß ich, daß ich es vorher einige Wochen mit kleinen Bibliotheksräumen oder geräumigen Ladengeschäften versucht hatte, aber sei es, daß ich nicht stramm genug ins Lesebuch blickte oder in den Ladengeschäften als eine Figur auffiel, die nichts erwarb, ich wurde von älteren Bibliothekarinnen streng beäugt oder von einer Sorte Unterdirektoren höflichst gebeten, meine Wartezeiten auf der Straße fortzusetzen.

Daher der Wechsel, Sie verstehen. Es gibt wunderbare Warteräume, Wartehallen, Ecken nah der Zentralheizung mit drei, vier tiefen Sesseln, man spürt hier, daß etwas für die Kundschaft getan wird, aber es gibt keinen Raum, der so mollig und zugleich elegant gestaltet ist, wie die Halle in

der B. A. S., eine mir völlig unbekannte Gesellschaft, deren geheime Ziele ich nicht kannte und die mich auch nicht interessierten. Es war da namentlich ein roter Fauteuil, in dem ich fast versank; wenn ich früh erschien, konnte ich ihn gleich einnehmen und nahezu bis gegen Mittag besitzen. Ein artiges Tischchen stand vor mir mit allerlei cremefarbenen Papieren, Enveloppes, Stylos. Eine solche Gesellschaft wie die B. A. S. hat nur mit sehr vornehmen Leuten zu tun, man knausert nicht mit den kleinen Annehmlichkeiten. Bedauert habe ich lediglich, daß kein Tee serviert wurde. Der vorliegendien Bögen und Enveloppen mich bedienend, habe ich hier manchen Brief geschrieben. Ich erinnerte mich meiner uralten Tanten, ich schrieb ihnen von dieser schönen Stadt, in der ich seßhaft geworden sei, ich ließ durchblicken, daß ich augenblicklich in einem tiefen roten Ledersessel säße, daß ich hübsch warm hätte, denn Tanten pflegen sich zu grämen, wenn man kalt hat, wenn es, wie Vater sagte, „an die Füße friert“.

Im Grunde, das bekam ich langsam heraus, war dieser Sessel eine Art Logensitz. Die Bühne bestand aus dem Parkett, über das langbeinige Sekretärinnen schritten, aktenbeladene Diener, seltener ein Direktor, ein Manager. Ich saß schon einige Wochen dort, als plötzlich eine dieser schönen Sekretärinnen vor mir hielt, mich liebenswürdig ansah und flüsterte: „Wenn Sie schon so lange warten, mein Herr, dann sollten Sie zumindest eine Aktenmappe vor sich auf den Tisch legen. Möglichst eine schöne, aus Kalbsleder unter Umständen.“

Ich wurde rot, schluckte, stammelte: „Ich habe eine.“ Dann aber gab ich meiner Stimme Festigkeit und sagte streng: „Im übrigen warte ich auf Herrn Zyschinsky.“

Draußen heulten polare Winde, es wurde immer kälter, die Halle, in der ich saß, immer wärmer. Die hübsche Sekretärin, die wohl aus reiner Sympathie zu mir gesprochen, erschien nicht wieder, vielleicht hatte sie gekündigt und sich in letzter Minute meiner angenommen. Ihren Rat hatte ich befolgt: Vor mir lag eine Aktenmappe, die sich sehen lassen durfte, neu, gewichtig, vertrauenerweckend.

Immerhin konnte es sein, daß ich langsam auffiel. Von Zeit zu Zeit segelte jemand vorbei an meinem Tischchen, an dem ich gerade einen neuen Brief an meine Tante Babette schrieb und fragt: Sie warten, mein Herr?

Ich warte auf Herrn Zyschinsky, sagte ich mit Würde. Die B. A. S. war tolerant, sie ließ mich warten, selbst als der Winter kam und meine Berufschancen nicht gerade gestiegen waren. Eines Tages aber erschien eine höhere Persönlichkeit, strebte energisch auf meinen Tisch zu, hielt

„Gestatten“', sagte sie, „Direktor Bröglhammer, darf ich von Ihnen erfahren, auf welchen Herrn Zyschinsky Sie warten?“ „Auf welchen ich warte?“ stammelte ich. „Nun ja, unsere Gesellschaft beschäftigt zwei Herren dieses Namens. Einer heißt Alexander mit Vornamen, der andere Pjotr.“

„Pjotr!“ rief ich aus und setzte ganz verzweifelt hinzu: „Natürlich Pjotr Zyschinsky.“ „Herr Pjotr Zyschinsky kommt morgen aus Saigon zurück. Ich werde ihn benachrichtigen. Ihre Standhaftigkeit im Warten wird ihn rühren.“ Und dann empfahl sich Direktor Bröglhammer.

In der folgenden Nacht schlief ich nicht Da hatte ich mir einen fremdländischen Namen ausgedacht und nun erschien hinter diesem Namen ein Mensch. Es war zum Herauslachen, aber es war zugleich bitterernst. Ich riskierte den roten Ledersessel, die herrlichen Warte- und Ruhegelegenheiten in der Halle der B. A. S. zu verlieren, wenn ich nicht hinging. Ich habe eine merkwürdige Art an mir, ich bereite nie etwas vor, ich verlasse mich auf meine Eingebung. Mehr als herauspfeffern können sie dich nicht tröstete ich mich.

Der Herr, der sich mir am anderen Tag in der Halle der B. A. S. näherte, humpelte ein wenig.

„Zyschinsky!“ rief er aus, „nun, Sie wünschen mich zu sprechen?“ „Ich sehe“, sagte ich, „daß Ihnen ein Fuß zu schaffen macht.“ — „Ein verdammter Nagel, der ins Fleisch ging.“ — „Ich bin gekommen, um Ihnen Linderung zu bringen, ich bin Nagelchirurg.“ „Was ?“ „Nagelchirurg“, wiederholte ich, „Pedikurist!“ „Und Hellseher dazu“ rief er schallend lachend aus. „Wenn Sie so wollen“, antwortete ich beflissen, „ich habe mein Besteck immer bei mir, soll ich gleich mal nachschauen?“

Kopfschüttelnd ging er mir voran, durchschritt einige Gänge mit mir, stieß die Tür eines kleinen hübschen Direktorialbüros auf, sagte: „Bitte, treten Sie ein!“

Die Operation war in einer knappen Stunde beendet. „Ah“, rief Herr Zyschinsky erleichtert aus, „ich kann wieder gehen, Sie sind ein Engel, mein Herr — aber der eigentliche Grund Ihres Besuches ?“

„Völlig unwichtig“, sagte ich, „jetzt haben Sie gerade das überstanden. Wir reden ein anderes Mal darüber.“

Herr Zyschinsky empfahl mich, ich wurde der Nagelchirurg der B. A. S. sozusagen. Bald konnte ich in der Großen Allee einen kleinen Pediküresalon aufmadien und Herr Zyschinsky wurde mein Kunde Nr. 1. In den herrlichen roten Fauteuil kann ich mich nun immer weniger hineinflegeln, was wollen Sie, wenn man ein gutgehendes kleines Geschäft hat

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