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Ja, der Herr Skilehrer!

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HABEN SIE SCHON EINMAL an einem Skikurs teilgenommen? In Bad Gastein, Davos, St. Anton, Cha-monix oder auch nur in Spittal am Semmering? Wenn ja, dann müßten Sie ihn eigentlich kennen. Wenn nein, dann sollten Sie diese Gelegenheit keinesfalls versäumen, endlich seine Bekanntschaft zu machen. — Wessen Bekanntschaft, fragen Sie befremdet? — Na, man merkt sofort, Sie waren ehrlich und haben wirklich noch keinen Skikurs mitgemacht. Sie würden sonst nicht so unbeholfene Fragen stellen und wüßten natürlich schon längst, um wen es sich hier dreht: Es handelt sich um die Zentralfigur jedes Skikurses, jene Persönlichkeit, der es gelingen kann, einen windigen, sonnenlosen, eiskalten Jännertag zu einem beglückenden Erlebnis für uns werden zu lassen, schlicht und einfach um den mit Recht allseits beliebten Skilehrer.

Ich will nun keineswegs dem Ansehen unserer alpinen Skirennchampions zu nahe treten oder gar ihre großen Leistungen in irgendeiner Weise herabsetzen, da ich doch selbst einer ihrer glühendsten Verehrer bin, aber eines muß ich klipp und klar feststellen: Während Rundfunk, Presse und Publizistik nimmer müde werden, das Loblied unserer verwegenen Abfahrtskanonen, Riesentorlaufgigan-ten und Slalomspezialisten zu singen, kräht kein Hahn nach unseren wackeren Skilehrern. Während uns schon fast bis zum Überdruß vorgehalten wird, wieviel tausend Paar Skier, Stöcke, Schuhe, Anoraks oder was immer die einschlägige Industrie dem modernen Skifahrer als unenbehrlich einzureden versucht, im In- und vor allem Ausland abgesetzt werden konnten, einzig und allein auf Grund der Erfolge unserer tüchtigen Rennsportler, hat sich noch niemand die Mühe gemacht, nachzurechnen, wieviel tausend lernbegierige Ausländer — vielleicht schon zum zweiten oder gar dritten Male —, nur unserer Skilehrer wegen die österreichischen Alpengebiete aufsuchen.

DASS SOMIT DIE HEIMISCHE Skilehrerschaft ein Wirtschaftsfaktor allererster Ordnung ist, der die außenhandelspassive österreichische Wirtschaft auch im Winter mit harten Devisen zu versorgen imstande ist, werden wir vergeblich in den Wirtschaftsbeilagen unserer Zeitungen suchen. Denn es wäre weit gefehlt, annehmen zu wollen, daß etwa die Schweizer, Italiener, Deutschen oder Franzosen (die zum Teil viel höhere Berge und wesentlich mehr Schnee im eigenen Land haben) nur wegen des Arlbergs, der Schloßalm oder des Türnitzer Eibls die Strapazen einer langen Anreise auf sich nehmen und in unsere winterliche Heimat strömen. Nein, mitnichten. Der einzige Grund, der sie veranlaßt, ihre guten Schweizer Franken, Lire, Mark oder Francs in Österreich auszugeben, ist ihr Verlangen, ordentlich und gut Skifahren zu lernen. Und wo allein, frage ich, können sie dieses Verlangen stillen? Natürlich nur bei unseren Skilehrern!

Denn selbst der begabteste und bewegungstüchtigste Mensch wird, sofern er das achte bis zwölfte Lebensjahr einmal überschritten hat, den Parallelschwung kaum lernen, wenn er Karl Schranz und Egon Zimmermann zuschaut, wie sie die Streif-Abfahrt hinunterpfeifen.

SKILEHRER WERDEN KANN JEDERMANN. Sofern er die nötigen skiläuferischen Voraussetzungen dazu mitbringt, ausreichende Kenntnisse in Bewegungslehre und Methodik aufweisen kann und über alles zusammen eine Prüfung — wie könnte es in Österreich auch anders sein? — abgelegt hat. Zum guten Skilehrer allerdings muß man geboren sein. Denn es verhält sich beim Skilehrer genauso wie in jeder anderen Sparte des Lehrerberufs. Die geläufige Beherrschung der Technik des Unterrichtens allein macht den guten Lehrer noch lange nicht aus. Wenn nicht ein ursprüngliches pädagogisches Talent, etwas Phantasie, eine gehörige Portion Einfühlungsvermögens (angewandte Psychologie also) und — für unsere Skilehrer von ganz besonderer Bedeutung — eine anständige Dosis herben Charmes sich dazuge-sellen, bleibt der technisch perfekte Lehrer eine bloße Lehrmaschine, ein Pauker bestenfalls, weit entfernt von jener Lehrerpersönlichkeit, deren sich der Schüler auch nach vielen Jahren noch mit Freude und ehrlicher Achtung erinnert.

Es genügt bei weitem nicht, daß der Skilehrer eine Übung, zum Beispiel einen Pflugbogen, in olympiareifer Form demonstriert, seinen Jüngern den Bewegungsablauf in mehr oder weniger eigenen Worten darlegen und schließlich noch die seitens der Schüler hauptsächlich begangenen Fehler erkennen und korrigieren kann, er muß gegen jeden Haltungsfehler eine spezielle, Abhilfe schaffende Übung bereit haben (der österreichische Skilehrplan, die „Bibel der Skilehrer“, leistet ihm hiebei unschätzbare Dienste). Weiter muß er seine Phantasie im Entwickeln neuer, beziehungsweise Abwandeln alterprobter Übungen spielen lassen (jeder Skilehrer verfügt über einen Schatz selbsterdachter SpezialÜbungen, die er starrköpfig gegen die etwaigen Angriffe andersdenkender Kollegen verteidigt) sowie Charme und Einfühlungsvermögen bei der Behandlung der Schüler an den Tag legen.

Doch das ist noch lange nicht alles. Obendrein muß der gute Skilehrer ein sicheres Auge sowie untrügliches Gefühl für Schnee und Gelände haben und zu guter Letzt

— muß er es verstehen, seine Unterrichtsstunden abwechslungsreich und locker zu gestalten, ohne daß dabei das Skifahren zu kurz kommt. Gerade das richtige Mittelmaß zwischen Spaß und ernstem Unterricht zu finden, ist nicht ganz einfach. Denn der durchschnittliche Skischüler, wenn er sich einmal entschlossen hat, zur Verbesserung seiner Skitechnik Geld und Zeit in einen Skikurs zu investieren, verlangt nicht nur guten Unterricht, er will außerdem noch unterhalten werden und sein Vergnügen, seine „Hetz“ haben. Der arme Skilehrer sieht sich nun in einer gefährlichen Zwickmühle: Einerseits muß er solide Kenntnisse vermitteln (das gebietet schon der Anstand), anderseits darf er nicht langweilen, sonst verliert er seine Schüler und damit seine Existenzgrundlage. Eine recht knifflige Situation also, der der Skilehrer immer wieder gegenübersteht und von deren Beherrschen auf die Dauer auch sein Erfolg als Skilehrer abhängt.

Daß zur Lösung dieser mannigfachen Probleme wirklich mehr als ein Paar „Gummibeine“ gehört,glaube ich hiemit eindeutig bewiesen zu haben.

WIE SIEHT NUN DER TAGESABLAUF des tüchtigen Skiinstruktors (wie der Skilehrer mancherorts genannt wird) eigentlich aus? Der Skilehrer ist ein Frühaufsteher beziehungsweise er muß es sein. Denn spätestens um zehn Uhr beginnt der Kurs, sein Tagwerk. Das heißt, daß er — wenn wir ihm für Aufstehen, Anziehen, eventuell Waschen sowie für alle anderen kleinen Verrichtungen, die ein Mensch, soeben seinem Bett entstiegen, vornehmen muß, ehe er sich unter andere Menschen wagen darf, eine dreiviertel bis ganze Stunde zugestehen— spätestens zwischen neun und viertel zehn Uhr aus den warmen Federn kriechen muß. Was besonders dann als ausgesprochene Härte anzusehen ist, wenn der Ärmste in der vorangegangenen Nacht „Dienst“ gehabt hat. Womit angedeutet werden soll, daß sich die Arbeit des Skilehrers keineswegs im Abhalten von vier bis fünf Kursstunden täglich erschöpft. Während der tapfere „Nachtarbeiter“, aus vollen Backen kauend und im Gehen die Skischuhe schnürend, zum Sammelplatz, einer weiten, freien Fläche, in der Regel vor dem Gebäude der Skischule gelegen, hastet, überlegt er in Eile das Programm des Übungsvormittags, wobei die letzten Daten bezüglich Wetter, Schnee und körperlicher Verfassung noch mit ins Kalkül gezogen werden. Vor seinem „Taferl“, das auf dem großen Sammelplatz den genauen Treffpunkt seiner Gruppe markiert, harren schon fünf oder sechs Übereifrige auf ihren Meister, der Rest „tröpfelt“ während der nächsten zehn bis fünfzehn Minuten herein, wobei die Letzten manchmal eine einsame Tafel auf leerem Platz als stumme Zeugin der bereits abgezogenen Gruppe vorfinden

Ein Übungsvormittag kann kurz oder aber auch sehr lang sein. Sowohl für den Lehrer als auch für die Schüler. Für den Lehrer hängt des vor allem von den Schülern, für die Schüler primär vom Lehrer ab, Für beide kann es aber auch vom Wetter abhängen. Meist ist der Vormittag jedoch schon vorbei, ehe der Lehrer und die Schüler richtig warm geworden sind und das Neuerlernte ordentlich durchüben konnten. Doch dazu bietet ja der Nachmittag noch ausreichend Zeit, und kurz vor zwölf Uhr entläßt der Meister seine Jünger mit der Aufforderung, sich Punkt zwei Uhr wieder vor dem „Taferl“ einzufinden. Die so Entlassenen zerstreuen sich darauf in die verschiedenen Gaststätten, um das Mittagmahl einzunehmen: ihr Lehrer zieht eine Wurst- oder Käsesemmel aus dem Anorak und begibt sich, wieder aus vollen Backen kauend, zum Babylift. Dort erwarten ihn bereits ein oder höchstens zwei „Privatschüler“, Leute, die entweder zu fein oder zu untalentiert sind, um am allgemeinen Kurs teilzunehmen, oder die etwas ganz Besonderes lernen wollen (Wedeln auf einem Bein, zum Beispiel). Diesen widmet er in den folgenden knappen zwei Stunden seine besondere Aufmerksamkeit; er läßt seinen Witz sprühen und fährt seine elegantesten Bogen vor, denn die Privatschüler zahlen gut und das Leben in den Bergen ist bekanntlich hart.

Um zwei Uhr holt der Vielbeschäftigte seine Schäfchen vom Sammelplatz ab, der Nachmittagskurs beginnt. Das Programm sieht vor allem das Durcharbeiten der am Vormittag neuerlernten Übungen oder kleinere Lift- und Geländefahrten vor. Wenn die Sonne den Kamm der gegenüberliegenden Ge-birgsgruppe zu vergolden beginnt — so gegen vier, halb fünf, ist Kursschluß. Die Schüler tummeln sich, je nach Lust und Laune, noch einige Zeit auf dem Ubungshang, ihr Mentor eilt in Riesenschritten zu seiner Unterkunft. Denn die Zeitspanne bis zum Nachtmahl ist sein persönliches Eigentum; er läßt sie sich nur höchst ungern streitig machen. Er nützt diese paar Stunden hauptsächlich, um sich ein wenig zu rekreieren und seinem angegriffenen Äußeren eine gründliche Überholung angedeihen zu lassen.

DAS NACHTMAHL GENIESST ER bereits frisch rasiert und mit seiner „Ausgehuniform“ angetan, denn anschließend beginnt, gleich hier in der Wirtsstube oder nebenan in der Alpenbar, der „Nachtdienst“. Er organisiert Spiele, singt Lieder oder begleitet andere Sänger auf der Gitarre, mit einem Wort, er macht richtig Stimmung. Und das sieht der Wirt nicht ungern. Denn Heiterkeit, ausgelassene Stimmung und ab und zu ein kräftiges Lied lassen die Kehlen rasch ausdorren, wofür sich der Wirt beim Skilehrer meist durch Freigetränke erkenntlich zeigt.

Und so mag es recht oft vorkommen, daß der Skilehrer die Stätte der Gastlichkeit erst gegen zwei, halb drei verlassen kann, um auch noch einen Zipfel Schlaf zu erhaschen, bevor, morgens um zehn Uhr, das ganze Spiel von neuem beginnt.

Ein Spiel, das er mit kleineren Unterbrechungen von Weihnachten bis Ostern treibt; kein Wunder also, daß er den Rest des Jahres zur Erholung benötigt. Denn das Leben in den Bergen ist sehr, sehr hart.

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