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Kreativität im Urlaub

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Zur Sache, zur Töpferscheibe, zum Webstuhl, zum Pinsel! Kreativität heißt Produktion, heißt Tagessollerfüllung!

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Zur Sache, zur Töpferscheibe, zum Webstuhl, zum Pinsel! Kreativität heißt Produktion, heißt Tagessollerfüllung!

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Ein hübscher Vergleich: irgendwo jn der Wiese liegen und mit der Seele baumeln. Der Kurt Tucholsky hat das erfunden. Die Österreicher haben, was die Seele anlangt, freilich größere Vorstellungen. Die Seele sei ein weites Land, meint unser Arthur Schnitzler. Woraus sich für den, der an dichterische Metaphern glaubt, sogleich das Problem ergibt: Wie kann man mit einem weiten Land baumeln? Daher lasse ich diese psychischen Balance-Akte heuer doch lieber sein, und entgehe ihnen durch Befolgung des aktuellen Urlaubs-Trends. Der fortschrittliche Zeitgenosse trägt heuer Kreativ-Urlaub.

Der Kreativ-Urlaub ist gewissermaßen die Risiko-Minimierung des Abenteuer-Urlaubs. Diesen haben wir schon gehabt. Wir sind durch Wildwasser-Schluchten gepaddelt, am Gummiseil von Brücken gesprungen, nächtlich durchs Gestrüpp gerobbt und haben in der Wüste genächtigt. Man wird dabei sehr ausgeglichen und baut einige Aggressionen ab. Aber beim Bundesheer kann man das billiger haben.

Vom Abenteuer-Urlaub bringt man außerdem außer Hautabschürfungen, Sonnenbrand und Hunger nichts nach Hause. Das ist in einer Zeit, in der das Prestige des Urlaubs doch sehr stark vom Vorzeigbaren abhängt, ein gravierender Nachteil.

Man bedenke: Unsere Freunde haben im Kreativ-Urlaub ein ganzes Frühstücks-Service getöpfert und sich dadurch die Anschaffung in Augarten-Porzellan erspart. Das ist mehr als eine komplette Spesen-Deckung. Und aus kreativ Selbst-getöpfertem schmeckt der Kaffee außerdem noch einmal so gut. Ich beginne zu begreifen, warum der Kreativ-Urlaub im Trend wirtschaftlich schwierigerer Zeiten liegt. Auch die Ausstattung der Wohnung mit selbstgemalten Bildern erspart eine Menge Geld. Nicht nur, daß der Zeitaufwand für den Besuch von Galerien und das Blättern in Kunstzeitschriften entfällt.

Für Besucher ist es auch spannend, die eigene Entwicklung von der naturverbundenen Naivität zur kühnen Abstraktion zu verfolgen. Wenn erst die Familie in der Schwerelosigkeit Chagalls über die Dächer fliegt und der Haushund Bello im Apfelbaum sitzt, ist der Weg zwar nicht für den Markt, wohl aber für Geschenke an die gesamte Verwandtschaft frei.

Vorteile, wohin man nur blickt! Im Winter trägt der Kreativ-Urlau-ber seine selbstgesponnenen Socken, er möbliert zuerst den Abstellraum und allmählich auch anspruchsvollere Wohnräume mit selbstgefertigten Regalen und allerlei praktischen Kästchen, er schreitet über selbstgewebte Teppiche im Schein der selbstbemalten Lampenschirme. Das gesamte Interieur erhält einen kreativen Touch, der seinerseits zu weiterer Kreativität anregt.

Mein Freund, bei dem ich diese Entwicklung leidvoll bemerkte, hatte freilich auch ein paar Warnungen vor den Fallstricken bereit, die die Buchung und den Antritt eines Kreativitäts-Urlaübs bereithalten können. Da Kreativität in strengstem Gegensatz zu Urbanität steht, findet der Kreativ-Urlaub in der Regel in weltabgeschiedenen Gegenden statt. In Österreich gibt es wenige solcher Gegenden. Wesentlich in-spirativer für die Kreativität sind südliche Inseln. Das ist nun einmal so, die antiken Götter sind ja auch nicht im City-Kreisverkehr erschienen.

Am Kreativitäts-Ort eingetroffen, gilt es sich energisch den Praktika zuzuwenden. Unter dem Vorwand, die Kreativität müsse erst „geweckt” werden, versuchen nämlich manche Veranstalter, mit Meditations-Übungen, mit sensibler Musik und allerlei somnambulen Reigentänzen die wertvolle Kreativitäts-Zeit totzuschlagen. Hier gilt es, sogleich an das Leistungs-Ethos zu appellieren. Zur Sache, zur Töpferscheibe, zum Webstuhl, zum Pinsel! Kreativität heißt Produktion, heißt Tagessollerfüllung! Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Ohne Fleiß kein Preis!

Mit der Kreativität kann man nicht baumeln wie mit der Seele. Kreativität ist ein weites Land - und nur wer erfolgsbewußt ausschreitet, der verdient den Kreativitäts-Urlaub! Wir werden diesen kreativen Südfahrern und Alternativ-Gurus schon zeigen, was Freizeit-Investition heißt! Wir sind vom Abenteuer-Urlaub gestählt.

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