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Küchenquirl und Krawatten

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Wahrscheinlich werden wir heuer Mitte Dezember die ersten Osterhasen in den Auslagen sehen, denn zwei Monate Vorweihnachtszeit hält ja kein Mensch mehr aus. Der Kommerz geht davon aus, daß in Zeiten des Sparpakets die Kunden immer kritischer werden und daher immer mehr Zeit zur Vorbereitung von Festen und Geschenken benötigen. Daher werden die Anlaufzeiten vorverlegt. Der Sommerschlußverkauf 1997 soll dem Vernehmen nach bereits im März einsetzen.

Ich habe meine eigene Schuld-Hypothese für diese unromantische Entwicklung. Denn irgendwer und irgendwas muß doch schuldig sein. In den alten Weihnachtsgeschichten lese ich oft, daß da ein Vater oder eine Mutter am Heiligen Abend unter Schneeflockengestöber fortging, um ein paar Geschenke für die Kinder einzukaufen. Was, so spät! Die hatten wohl keine rechte Planung! Denen hat wohl niemand kiloweise Prospekte in den Briefkasten gesteckt! Dieses altmodische kurzfristige Denken! Kein Wunder, wenn da der Abend hektisch wurde! Aber da steht in den alten Geschichten sogar noch, daß es sehr gemütlich hergegangen sein soll zur familiären Weihnachtsfeier. Das muß ein Irrtum sein! Die Dichter-Erzähler stellen sich das halt so vor, die verklären Kindheit und Vergangenheit in fröhlicher Armut.

In Wirklichkeit erfordert Weihnachten umfangreiche, wochenlange Planungen. Die Auswahl zum günstigsten Preis-Leistungsverhältnis wird vielleicht künftig leichter, wenn wir uns das alles vorher im Internet virtuell ansehen, vergleichen und bestellen können.

Es war ja auch in der jüngeren Vergangenheit ein wenig leichter, als der Trend zur Standardisierung noch nicht von dem hemmungslosen Individualitäts-Anspruch abgelöst war. Ein Mann galt damals als technisch aufgeschlossen und gesellschaftlich angepaßt, wenn er seiner Gattin einen elektrischen Küchenquirl schenkte. Hausfrauen und Mütter empfanden die Erleichterung des Teigschlagens durch den surrenden Flügelstab als ungemein hilfreich. Ich hatte jahrelang mit solchen Quirlstäben weihnachtlichen Erfolg. In unserer Küche befinden sich noch fünf davon, drei sind schon kaputt, aber meine Frau hängt aus anscheinend sentimentalen Gründen an diesen FJektro-Krüppeln ganz besonders.

Im Gegenzug dazu verfüge ich über eine stattliche Krawattensammlung. Sehr einträgliche Weihnachten bescherten mir manchmal gleich deren drei oder vier, im Prinzip gleich, aber doch in modischen Variationen. Außer am Weihnachtsabend, als ich sie der Reihe nach anprobieren mußte, habe ich sie kaum je getragen. Um auf die gestellte Schuldfrage zurückzukommen: Quirl und Krawatte sind out -und das ist die Ursache der zeitaufwendigen Suche, die uns heute einen immer längeren Zeitraum beschert, den die Dichter als die stillste Zeit im Jahr höchst unverschämt zu umschreiben wissen.

Irgendwie ist der Krawattenmarkt auch gesättigt. So wie eine Frau nicht mit drei Quirlen gleichzeitig arbeiten kann, kann auch ich, wenn es denn überhaupt sein muß, nicht mehr als eine Krawatte tragen. Bei deren Auswahl ist am besten nicht gjerade auf die kaum vergangenen Jahrgangsmuster zuzugreifen, sondern ältere E,xemplare der Kollektion herauszuholen. Es gibt nämlich einen Krawattenzyklus in der Männermode, welcher bewirkt, daß ältere Innovationen wiederkehren. Gerade die textile Patina in Verbindung mit der wieder aktuell gewordenen Musterung verleiht dann der Krawatte jenen unwiderstehlichen Beiz, der sogar ihr Symbolhaftes weit übertrifft. Die neidischen Blicke der konkurrierenden Männerwelt verleihen mir die Sicherheit des kenntnisreichen Griffs. Die Vergangenheit hat Zukunft.

Wer aber nimmt mir die quälende Ungewißheit ab, ob ich heuer der Gattin einen Computer, ein Trimmgerät oder eine Heizdecke schenken soll? Und wer deutet die Furchen auf ihrer Stirn, wenn sie, noch ehe die ersten Osterhasen im Advent erscheinen, durch die weihnachtlich geschmückten Gassen zieht, um sich für mich für ein Notebook oder eine Bohrmaschine zu entscheiden?

Wir urgemütlich war es doch mit Quirl und Krawatte!

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