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Laufsteg

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DER ANSAGER SCHNELLT seine Pointe in den Saal. Ein dünnes Lachen plätschert und geht in fernen, unbestimmbaren Musiktakten eines Tanzstückes unter. Und dann herrscht mit einem Male Stille. Am rechten Ende des fast quadratischen Saales, wo sich die Kristalleuchter und ihr Widerspiel in Spiegeln gegenseitig zu überbieten scheinen, steigt eine Frau die paar Stufen hinauf zum Laufsteg. Von links oben und rechts vorn richten sich schmale, gekuppelte Scheinwerfer aus, ein letzter mit zartorangem Licht blendet in dem Augenblick auf, als die Frau die ersten Schritte macht, von einer gelben Tüllwolke umgeben; eine Satinschleife weht spielerisch dem Schritte nach. Die Stimme des Ansagers — diesmal ganz ohne Scherz und nüchtern sachlich; wenn auch mit einem kaum merklichen Werbeton — nennt den Phantasienamen des Modells, bringt die Herstellungsdaten. Den Verwendungszweck braucht er diesmal nicht zu erwähnen; alle sehen, es ist ein großes Abendkleid, und der Preis ist der Größe angemessen. Beifallsklatschen springt auf, noch ehe das Mannequin am Ende des Laufsteges angekommen ist und die erste Wendung macht. Es ist ein brünettes, etwa zwanzigjähriges Mädchen mit dem bekannten Lächeln der Mannequins, mit dem Augenspiel unter den etwas gesenkten und getuschten Wimpern, das völlig unverbindlich wirkt und dennoch nicht ohne Reiz ist, vielleicht weil es in dem übervollen Saale scheinbar zu jedem spricht und doch irgendwo ins Leere geht.

DIESES VERLORENE LÄCHELN folgte mir nach durch die Räume des prachtvollen Barockpalais, diesem Lächeln begegne ich in den Garde'cl'en wieder, wo eben eine energische Stimme, würdig eines Feldwebels, nach einem einmaligen Händeklatschen ruft: „Annina, Sie schauen aus, als ob Sie vorgestern nur einen Elfer *im Toto gemacht hätten! Lassen Sie sich bessere Sporttips von nahestehender Seite gebeiT und lächeln Sie heute als Vorschuß darauf! Nein, -nicht so stark die Zähne zeigen, ach, es ist ein Jammer mit Ihnen! Und jetzt rasch, rasch, Sie haben noch vier Modelle zu zeigen. . .* Wieder das kommandierende Händeklatschen. „Rasch, meine Damen ... Hella, Sie haben die falsche Handtasche, die gehört zur Nummer acht... nein, nicht zu diesem, zu jenem Ensemble...“ Irgendwo klingelt ein Telephon. Niemand kümmert sich darum. Es klingelt eine Weile als Begleitmusik zu dem Wortwechsel.

IN DEM VORNEHMEN MODESALON der Inneren Stadt, einem Hause, das, so kann man wohl sagen, Politik gemacht hat („Handelspolitik, bitte“, sagt der Chef), ist es einige Tage später leichter, ins Gespräch zu kommen, und die „Erste“, wie man hier die Direktrice nennt, entschuldigt sich wegen der mangelnden Unterrichtung bei der Modeschau. „Aber, es ist an und für sich schon eine besondere Ausnahme, wenn jemand sozusagen hinter die Kulissen schauen darf — nein, nicht wegen der Modespionage, sondern weil wir die Erfahrung gemacht haben, daß jede Ablenkung das Auftreten beeinträchtigt.“ Und dann höre ich, daß die großen Modehäuser Wiens zumeist ihre eigenen Mannequins haben. Im allgemeinen sind es auch im Verkauf tätige Mädchen und Frauen, mitunter arbeiten sie sogar bei der Anfertigung mit. Das hat vielfachen Wert. „Denn“, so meint der Chef und kneift ein Auge zu, „der Verkauf ist hier wenigstens ebenso schwierig wie das Vorführen der Modelle. Was den Beifall dort bei der Schau auszeichnet, müssen wir hier auf den speziellen Kunden abstimmen.“

WIE WERDEN MANNEQUINS ENTDECKT? Gibt es Ausbildungsstätten? Wenn ja, wie funktionieren sie, haben sie denn überhaupt einen Sinn? Muß man nicht zum Mannequin geschaffen sein wie zum Filmstar? Diese und noch viele andere Fragen werden an die Veranstalter der Modeschauen, an die Modehäuser, an Einzelpersonen ebenso herangetragen wie an die Schulen. Entdeckungen in dem Sinne, w4* man eine Schauspielerin entdeckt, einen Filmstar lanciert, sind selten. Natürlich sind die Veranstalter der Modeschauen immer einer gespannten Feder gleich, sie haben wieder Bekannte bei der Herstellung, beim Vertrieb der Textilerzeugnisse, bei den Theater- und Ballettdebütantinnen. Ohne Mädchenhändler zu sein, haben sie sogar auf der Straße immer die Augen offen. Ueberau glauben sie einen „Star“ zu sehen. „Aber vom Aussehen allein beißen wir nicht ab“, sagt der Inhaber einer Boutique. „Es stellt sich heraus, daß so manches Mädchen wohl Interesse für diesen Beruf hätte, aber ganz und gar kein Talent. Dann heißt es eben ohne Talent fleißig lernen, und bei dem angeborenen Charme der Wienerin kommt sogar da noch sehr Ansehnliches heraus.“ In Wien bestehen einige Mannequinschulen. Dor^ ruft man mitunter, wenn eine bestimmte Größe fehlt, mit genauer Angabe der Maße an. Und diese Schulen können immer oder fast immer aushelfen.

DER LIFT SAUST EINIGE STOCKWERKE hoch. Ich habe bei meinem zweiten Besuch Glück und treffe die Inhaberin der Mannequinschule. Sie erläutert ihren Lehrplan und meint gleich zu Beginn, ich möge ja nicht glauben, daß in die Mannequinschule nur solche Mädchen oder Frauen kommen, die den Beruf eines Mannequins ausüben wollen. „Ein auch einfaches Kleid richtig zu tragen — von einer Abendrobe ganz zu schweigen —, mit den Bleistiftabsätzen der Schuhe über unebenen Boden und gleich darnach übers Parkett zu gehen — die Mannequins übrigens, die gehen nicht, sondern sie schreiten! —, das will gekonnt sein. Nicht der Spiegel allein kann das zeigen, selbst wenn Sie sich in einem Spiegelkabinett befänden. Am besten kann man seine Geh- und Haltungsfehler im Film beurteilen — wie man seine Stimme kontrollieren i sollte an Hand des Magnetophons.“ Nun höre ich, wie man, theoretisch wenigstens, zur charmanten Dame wird. Es gibt Einsichtige, die zugeben, wie schlecht es aussieht, wenn sie einen Mantel ausziehen. Mir wird das zweimal gezeigt. Einmal „ohne Schulung“ und dann „mit“. Es ist kaum zu glauben, was für ein Unterschied da besteht. Das scheint beinahe nicht die gleiche Dame zu sein, die ihr Pelzcape ablegt! Und doch ist sie es und spielt heute abend nur etwas Theater vor. Das elegante Tragen der Kleider kann also gelernt werden, und man lernt es, von der Maturantin angefangen bis zur Hausfrau. Dazu kommt dann noch die spezielle Modeberatung: Was soll man tragen, was nicht? Was wirkt für den Typ, den man vertritt, zu auffällig? Welche Frisur muß man wählen, wie stimmt man die Accessoires ab? Wie beurteilt man Stoffe, wie Pelze, wie bewahrt man sie auf? Wie korrigiert man die Figur? Welche Diät ist anzuraten — alles das interessiert sogar solche, die nicht den Beruf eines Mannequins ausüben wollen. Diesen aber ist es ernster Unterrichtsstoff während der drei Monate des Kurses. Eben hat in dem Institut, wo ich zu Besuch bin, ein Kurs begonnen. „Hören Sie nichts?“ fragt die Frau Direktor. Richtig, ich höre taktgenaues Klappen nebenan. „Sie lernen gehen“, erfahre ich. „Schreiten“, sage ich fachmännisch. „Schreiten ist das noch lange nicht!“ widerspricht die Frau Direktor.

DAS RICHTIGE GEHEN ist schwer. Versuchen. Sie es doch einmal zur Probe mit einem schweren Buch auf dem Kopf auf ebenem Bpden und dann, hochsteigend, auf einer Treppe. Versteht sich, ohne daß das Buch zu Boden fällt. „Ich lasse es mit Büchern, am liebsten mit einem dicken Quartband, machen“, sagt mir die Inhaberin einer anderen Schule. „Nun, und die schöne Fruchtschale auf dem Photo?“ frage ich, indem ich auf das aufliegende Album zeige. „Die Porzellanschale mit den Orangen ist für den Photographen einer Modezeitschrift bereitgestellt worden. Er bestand darauf, aber ich stand hundert Aengste um die schöne Schale aus, auch wenn sie von einer Absolventin auf dem Kopf balanciert wurde (denn die Anwesenheit eines Fremden kann besonders bei den sich gerne Zeigenden unerwartet Scherben geben). Aber auch wenn die Schülerin gut die Treppe hinaufkommt, kann man die Art, wie ihr das gelingt, bei aller Galanterie nicht immer gefällig nennen. „Schreitet“ die Schülerin richtig, dann folgen die übrigen, meist von externen Lehrkräften erteilten Fächer, von denen schon die Rede war. Uebrigens gehört auch Kosmetik, und zwar sowohl für den Tag als für den Abend, zur Ausbildung, ebenso das Maßnehmen und Zuschneiden. Mannequin kann jedes Mädchen werden. Es gehört aber viel Eigenart und Charme dazu, selbst wenn die erforderlichen Maßnormen — TaiHe 60 bis -68, Hüfte 96 (und-„ein bisserl mehr“) — aufgebracht werden. Die Käuferin eines teuren Kleides glaubt jedenfalls, sie sähe mit ihrem Ueberplansoll an Zentimetern genau so aus wie das Mannequin, das womöglich 51 Kilogramm auf die Waage bringt, eine Taille von 53 und eine Brustweite von 83 besitzt. Starmannequins von dem Stil und dem Einfluß wie jene in Paris gibt es bei uns nur selten. Immerhin verdienen solche Spitzen' ;fte je Schau leicht ihre tausend Schilling. Der Durchschnitt liegt freilich weit darunter und muß mit 200 bis 300 Schilling zufrieden sein. Es gibt zudem viele Dilettantinnen in dem Fach, und daher hat sich eine eigene Mannequinvereinigung gebildet. Man schätzt, daß es in Oesterreich an die fünfhundert Mannequins gibt. Es sind Bestrebungen im Gange, die einzelnen Schulen zu einem einheitlichen Vorgehen gegen den unkontrollierten Dilettantismus zu veranlassen, und weiß sich auch der gewerkschaftlichen Unterstützung sicher. Obzwar nicht alle Modenationen Berufsvereinigungen unserer Art besitzen, bestehen solche doch weniestens in einigen internationalen Modezentren, wie Paris, London. Amsterdam und Berlin. Eine Zusammenarbeit zwischen den Vereinigungen wird nicht nur die Verwendung einheimischer Mannequins bei ausländischen Vorführungen beziehungsweise das Mitbringen fremder Mannequins mit international geprüften Ausweisen auf wechselseitiger Grundlage ermöglichen, sondern auch zwischenstaatlich eine Konsultation fördern, wenn es um die Zukunft jener Mannequins geht, die ihren Beruf mit zunehmendem AlteT nicht mehr ausüben können. Als Modeberaterinnen, als Abteilungsleiterinnen von Warenhäusern wird man diese Frauen zu schätzen wissen.

MANNEQUINS - der Name kommt vom flämisch-niederdeutschen „Manneken“, was Männchen, für die ursprünglich verwendete Gliederpuppe, Ledeutete —, Mannequins und Modeschauen haben kommerziell und sozial ihre Funktion. Jedes Haus, das Verkaufskataloge ausschickt, wird bestätigen, daß Modeschauen ungleich größere Verkaufserfolge erzielen. „Kleiderschaffen im Maschiienzeitalter ist eine Zuflucht des Menschlich-Persönlichen“, sagte einst Christian Dior. Und Jacques Fath hat die Mannequin? ..besser Diplomaten“ genannt und erklärt, eine Not* von diesen (er meinte die Rechnung) nehme er lieber an als eine diplomatische.

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