6569295-1950_12_10.jpg
Digital In Arbeit

Mein Frack

Werbung
Werbung
Werbung

Auch ich habe einmal einen Frack gehabt. Und was für einen. Mit traumhafter Pikeeweste, schwarzen Seidengalons und einer Hintertasche im linken Schößel, die den mondänsten Vermutungen Raum gab. Wenn schon ein Pintsch durch sein Halsband im Selbstbewußtsein gehoben wird, wie erst ein Jüngling durch seinen Frack: bleich steht er da, mitten unter dem mittelsten Kronleuchter, fühlt sidr als Alkibiades und macht ein Parthenon-gfries.

Ich brauchte ihn nämlich dringend zu einem Ball des Petersburger Terijoki-Jachtklubs im Dachgarten des Hotel de l'Europe: die Welt rief mich, und ich kam

— im Frack —, ohne daß der Schneider auch nur die Andeutung einer Rechnung geschidvt hätte. Bezahlte Fracks sitzen nicht so gut. Die Damen waren sdrön zum Wahnsinnigwerden, die Kellner flitzten, und ein dicker Tsushima-Admiral mit Pincenez machte die Honneurs. „Voyez-donc“, hörte ich flüstern, „diesen dreistöckigen Nacken: aber wie der sich biegen kann!“ Der gesamte Osten stampfte eine Tourenmazurka durch den Saal — „avaneez!... reculez! ...“, und schließlich ging jeder Kavalier aufs Knie und ließ die Dame an seiner Hand um sich herumschweben. Dann aber kamen wir. Denn nun erklangen die tragischen Töne eines Tango.

Wir — das waren die Westeuropäer, vor allem die von zwanzig Jahren. In diesem Alter sind nicht allein die Damen, sondern auch die Ideen zum Wahnsinnigwerden schön, berauschen sie uns doch mit dem Duft eines neuen Weltgefühls, das damals, 1913, noch irgendwie im Frack seinen Ausdruck fand. Man machte Examen, man hielt um die Hand an in ihm, der des Lebens Feierstunden begleitete bis zu jener letzten, da er einen noch im Sarg repräsentabel erscheinen ließ. Der Frack war das, was den König mit dem Kellner gleichmachte, ähnlich jener Anrede „Madame“, die einem Marktweib oder einer Herzogin gelten konnte. Denn wir hatten zwar Amerika entdeckt, schwärmten für Natur und Maschinen, gingen ohne Kopfbedeckung und wollten die Welt vom Ornament befreien

— der Frack aber, dieses verrückteste Kleidungsstück, auf das man je gekommen, war uns heilig: im Tango, im Boston, im Onestep fühlten wir seinen Schwalbenschwanz im Rhythmus der neuen Zeit vibrieren.

Und darum staunte Rußland verdutzt an den Wänden, als wir Westeuropäer jetzt, unter den sinnbetörenden Rhythmen des „Irresistible“ sozusagen zeigten, wie wir die Sache anfaßten. Und die Damen machten mit, die Damen machen immer mit. Der Totentanz des untergehenden Geschlechtes, so hat man den Tango genannt — was aber kann hinreißender sein als ein Totentanz nicht von Gerippen, sondern von sehr lebendigen Körpern, Pikeewesten, goldblonden Frisuren und schmachtend hingegossenen Armen? Ja, dies war ein Höhepunkt im Leben meines Fracks, und er, kaum erst dem Nadelstrang seines Schneiders entbunden und im Champagnersprühen getauft, schien das zu ahnen ... Denn nach ein paar Tagen sdion ließ ich ihn im Schrank, packte ein Dutzend schneeiger Tropenanzüge in den Koffer und fuhr nach Zentralasien, wo man noch gar nicht wußte, daß Männer mit Frauen tanzen können, sondern teetrinkend zusah, wie ein Knabe im Goldbrokat zum Zupfen der Kalebassen seine Schritte trippelte.

Mittlerweile brach der Weltkrieg aus, worauf sogleich ein Moratorium verhängt wurde, was viele so verstanden, daß sie ihren Schneidern jetzt erst recht nichts zu zahlen brauchten. Aus purem Widerspruchsgeist ließ ich dem Erzeuger meines

Fracks sogleich die zweihundert Silberrubel auszahlen. Der Überbringer konnte sich nachher nicht genugtun, mir den schrankenlosen Jubel der gesamten Schneiderfamilie zu schildern, als sie der Rückkehr der verlorenen Geldes ansichtig wurden; selbst der Nesthaken begann zu strampeln. Ob ein fettes Kalb geschlachtet wurde, bleibe dahingestellt. Das war der zweite Höhepunkt im Leben meines Fracks, wiewohl er nun schon ein halbes Jahr im Schrank schlummerte.

Dann wartete und wartete ich auf die Gelegenheit, einmal wieder meinen Frack auszulüften, aber seltsamerweise bot sich keine. Ich sage seltsamerweise, denn ich hatte mir ein Leben mit Frack vorgestellt, während das Schicksal selber mich sichtlich zu einem Leben ohne Frack vorgemerkt hatte. Nun ja, ich „warf“ mich noch einmal in ihn (in den Frack wirft man sich, eine Drillichjacke wird bloß angezogen) — da war in einem Hause, das noch hielt ich die Fiktion aufrecht, daß ich ihn einmal brauchen könnte. Aber schon begann er die Rolle von Heunings „Swartsiden“ bei Fritz Reutter zu spielen ... überdies waren ihm, meinem Frack, im Trubel der Weltbegebenheiten, die Hosen geklaut worden. Wie das kam, ist mir immer ein Rätsel geblieben: der Diener des Fürsten S. hatte ihn heilig eingepackt — aber beim Auspacken war er ein Frack ohne Unterleib, ein Wrack sozusagen, und sämtliche Reklamationen blieben bei den Revolutionen erfolglos. Ach, er hatte seine vornehmste Fähigkeit — nämlich zu tänzeln, wichtig dazustehen, nachlässig ein Bein übers andere zu schlagen — für immer eingebüßt und konnte nur noch durch Kampfer am Leben erhalten werden.

So verlor ich ihn aus den Augen. Er lag in der untersten Schublade und murmelte verletzt vor sich hin: .... äußerst, äußerst...“ — die einzige mondäne Floskel, die ihm noch geblieben war. Doch er ahnte nicht, daß das eigentliche Leben noch vor ihm stand. Denn nun hörte ich von einem Kapellmeister, der einen Frack brauchte, ohne ihn doch mit seinem Taktstock erschwingen zu können. Und da ließ ich dem Mann — jetzt war schon alles eins — meinen Frack samt Pikeeweste übergeben. Denn man muß die Illusionen abstreifen.

Doch nun, da ich ihn nicht mehr hatte, begann er mir in den Sinn zu kommen. Ob ihm das neue Leben gefiel? — jetzt, da er nicht mehr tanzte, sondern andere tanzend machte? Nach fünfzehnjähriger Schrankruhe sich jeden Abend abzuzappeln in Tangos, Shimmys, Charlestons • und weiß Gott was, von denen er doch selber nichts mehr hatte! Wer weiß. . Und was aus ihm in der Zeit geworden wie ein Teleskop aussah mit immer dickeren Anbauten, weil die Leute immer reicher geworden waren, bis die Säle schließlich durch zwei Etagen gingen und oben, gleich unterm Goldstuck, eine Kapelle spielte. Auch da verleugnete mein Frack seine Natur nicht; er kam, ward gesehen und siegte. Wenigstens sauste der Schwiegersohn wie eine Wächterbiene auf mich zu und flüsterte, ob ich nicht die Dame des Hauses engagieren könnte. Diese Dame war sechzig Jahre alt und trug krokodilstränengroße Brillanten an den Ohrläppchen. Da war nun nichts zu machen: „Fräcklein, Fräcklein, du gehst einen schweren Gang“, murmelte ich, machte meine Verbeugung und tanzte immer rund im Walzerdrehwurm wie in den achtziger Jahren. Wenn man will, auch eine Art Totentanz.

Dann, nach dem Kriege, brach der Friede aus, und wie so viele andere, war auch mein Frack arbeitslos. Doch immer sein mag? Ob er noch dirigiert, oder ob er schon serviert mit Verbeugungen und Trinkgeldern? Ob man ihm, trotz seiner Proteste („.,. äußerst, äußerst...“) das Innerste zu äußerst gekehrt, ob man ihn gewendet hat? Oder ob er gar Vogelscheuche geworden ist mit entsetzt ausgebreiteten Armen über das furchtbare Schicksal, während die Spatzen noch nicht wissen, ob man fliehen muß oder sich draufsetzen darf? Alles kann passieren.

Genau genommen, hab ich ihn ja bloß zweimal angehabt, und doch hat er mir jahrzehntelang die Brust gestärkt als Idee. Auch er hat nicht umsonst gelebt. Denn er brachte Freude: mir, dem Schneider, dem klauenden Diener, dem Kapellmeister und vielleicht sogar auch den Spatzen, als sie merkten, daß das keir Mensch, sondern bloß ein Frack sei. Und selbst jetzt noch liefert er, der unverwüstliche, mir immer noch den Spinnstoff für diese Skizze.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung