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Moby Dick läßt grüßenl
Ich lese gerne. Sehr gerne sogar. Allerdings: Ich möchte nicht ständig lesen müssen. Ich spreche von den allgegenwärtigen Aufschriften auf Kleidungsstücken, diesen unerbetenen Rotschaften auf T- und Sweat-Shirts, auf Jeans und Pullis, auf Hemden, Hosen und Jacken.
Vergleichsweise harmlos fing es an. Nachdem die Menschheit Jahrtausende unbeschriftet in anonymer Kleidung durchlebte, machten -wenn ich das recht erinnere - die Ten -nis- und Polohemdenhersteller den Anfang: Auf einmal war es Mode, mindestens ein Tier auf dem Hemd zu tragen. Gut, an die Krokodile und Pumas und Schildkröten, an diesen ganzen albernen Modezoo, konnte man sich gewöhnen. Das hielt sich noch - auch vom Format des Stickers her - in erträglichen Grenzen. Rald darauf ging es aber richtig los: der Hersteller, der vorgibt, für die „Yo* ung Generation” zuständig zu sein, schreibt - an frechem Selbstvertrauen mangelt es nicht - mit Riesenlettern diesen seinen Firmennamen auf Rrust und Rücken der jungen Kundschaft und verwandelt damit die Träger seiner Fummel in unfreiwillige Litfaßsäulen.
Andere ziehen nach; jeder soll, nein, muß es sehen: hier hat einer Be-netton sein Vertrauen (und sein Taschengeld) gegeben, der dort hat sich für Ross entschieden. Seine Sache. Aber ich muß es, selbst wenn ich zwei Häuserblocks entfernt bin, zur widerwilligen Kenntnis nehmen!
Und da, die monströse Dame im Straßencafe mit den Großstücken am Kuchenteller und sichtlichem Übergewicht am ganzen - bezeichnenderweise in enge Leggins gequälten Körper; was vermittelt sie uns für eine Rotschaft? Oh: „Pretty Surfing Girl” steht quer über den gigantischen Rrü-sten. Moby Dick läßt grüßen! Das Surfbrett muß erst noch konstruiert werden, von dem die Tante nicht wegkippt und abtaucht wie eine Rlei-ente. Wen haben wir denn dort? Einen modisch aufgeputzten Spät-Twen mit Rilligtoupet und windschnittigem Rierbauch; offensichtlich ein Kollege von David Hasselhoff: „Raywatch” knallt es in pink über der mächtig geblähten Rundweite. Locker ausgestochen wird der kurzatmige Raywatcher von dem schmalbrüstigen Intellektuellentyp mit kurzsichtigen Augen hinter zentimeterdickem Rrillenglas, das blasse Gesichtchen unter einem Rauschebart Modell „Karl Marx, selig” versteckt. Er ist, wenn ich der Schrift auf seinem reinigungsbedürftigen Sweat-Shirt glauben darf, „Chief of Racing Team”. Welchem Rennstall er vorsteht, läßt sich, der Barttracht wegen, nicht exakt ermitteln.
Übertroffen werden sie alle freilich von dem modernen Großstadt-Neandertaler, der mir jetzt - erstaunlicherweise ohne einen Wärter an seiner Seite - entgegenschlurft. Ein Typ, der wahrscheinlich beim Lesen die Lippen bewegen und mit dem Finger die Zeilen langfahren muß. Unter der verkehrt getragenen Baseballkappe eine Stirn, so niedrig wie sein Horizont. Den voll aufgedrehten Ghettob-laster auf der Schulter, leistet er sich auf seiner Bomberjacke die gestickte Aufschrift „E = mc””. Darunter in schriller Leuchtfarbe „Princeton Uni-versity”.
Ich sagte schon eingangs: ich lese gerne. Ich ziehe es allerdings vor, meinen Lesestoff selbst auszusuchen, mir die Lektüre nicht von Klamottenfabrikanten aufnötigen zu lassen!
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