6750790-1967_27_07.jpg
Digital In Arbeit

Montreals Geburtstagstorte

Werbung
Werbung
Werbung

Montreal feiert den 325. Geburtstag mit gallischem Enthusiasmus. Obwohl Kanadas größte Stadt, so groß wie Wien, „die Füße im Strom und; das Haupt in den Wolken hat“, ist von Kühle nichts zu bemerken. (Der Strom ist der St. Lorenz und die Anhöhe ist der Mouht Royal, nach dem die Stadt benannt wurde.) Doch zu einem Geburtstag gehört auch eine Geburtstagstorte. Sie ist prompt eingetroffen und wird von Festgästen aus allen Erdteilen „genossen“. Es ist — natürlich — die Expo 67, die Weltausstellung.

Jeder zehnte Kanadier ist ein Montrealer. Zwei Drittel von ihnen sind französischer Herkunft, wehten doch bis 1760 Frankreichs Banner hier. In einem kleinen Restaurant der Stadt, die man das „Paris der Neuen Welt“ nennt, sagte uns ein Tischnachbar: „Die Venezianer machten aus einem Sumpf die Perle der Adria... Die Pariser hatten nicht unsere großartige St.-Helenen-Insel, sondern ein kleines Eiland, als sie die Stadt des Lichtes erbauten... Sie hatten einen kleinen Hügel, den Montmartre; wir haben den Mount Seine; wir haben den majestätischen St.-Lorenz-Strom ...“ Montrealer sind große Lokalpatrioten, doch auch der Besucher bemerkt, daß die Mädchen hier charmanter und die Zeitungen temperamentvoller sind als anderswo in Kanada.

Wer durch die Gassen und Straßen von Nordamerikas nördlichster Metropole spaziert, sieht alte Häuser, die aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammen. Wenn wir durch vergilbte Chroniken blättern, erfahren wir, daß von dieser Stadt einst wagemutige Franzosen auszogen, um das Innere des Kontinentes zu erforschen. 35 der 50 Staaten der USA wurden denn auch von Franzosen entdeckt, und bis heute sind 4000 Namen von Orten der Vereinigten Staaten Zeugen dafür. Doch der Lokalpatriotismus der Montrealei ist zeitlos, und vor kurzem erst sagte Bürgermeister Drapeau über die neue Untergrundbahn: „Sie ist die schönste der Welt, die beste der Welt, die schnellste der Welt und die ökonomischeste!“

Der Seefahrer Jacques Cartier aus Saint Malo war Montreals erster „Tourist“. König Franz I. hatte ihn Anno 1535 ausgesandt, um nach Schätzen Ausschau zu halten ... Damals befand sich im heutigen Stadtgebiet ein aus etwa 50 Hütten bestehendes Indianerdorf, das von einer kreisrunden Estakade umgeben war. Die ersten französischen Kolonisten ließen sich hier erst im Jahre 1642 nieder. Als man ihrem Führer Sieur de Maisonneuve von seinem Plan abgeraten hatte, antwortete er stolz: „Selbst wenn alle Bäume auf der Insel plötzlich in Irokesen verwandelt wären, würde es für mich eine Ehrensache sein, dorthin zu ziehen.“ Wir dachten daran, als wir vor dem Maisonneuve-Denkmal auf der Place d'Armes standen i— als wir hörten, daß der Stadtgründer aus dem fernen Frankreich hier einen Indianerhäuptling, der ihn skalpieren wollte, niedermachte...

Enthusiastische Besucher Montreals behaupten, hier gebe es mehr exquisite Gaststätten als anderswo in Nordamerika. Tatsächlich gibt es an die 4000 Restaurants in Montreal; sie nehmen 14 Seiten im Telefonbuch ein. Man findet unter ihnen schmucke Lokale, die Namen wie Vienna Coffee Pot Restaurant, Heidelberg, Lorelei und Höfbräu führen, und einladende' Gastwirtschaften, die frankokanadische Gerichte, von der „soupe aux pois“ (Erbsensuppe) bis zur „tärte ä la ferlouche“ (Rosinenkuchen), besonders delikat zubereiten.

Doch Montreal ist auch eine Hafenstadt, in der 6000 Schiffe (mit rund 275.000 Matrosen an Bord) im Jahre landen und eine Fabrikstadt mit 5000 Werken. Die Zahl der deutschsprechenden Montrealer wird auf 120.000 geschätzt. In diesen Tagen der Weltausstellung kann man häufiger — in einer Vielfalt von Dialekten — Deutsch in den Straßen von Kanadas größter Stadt hören als je zuvor...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung