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„Neues vom Tage“

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Die lustige Oper „Neues vom Tage“ nach einem Libretto von Marcellus Schiffer schrieb Hindemith vor mehr als 25 Jahren. Damals wie heute war sie eine Zeitsatire, ein Stück gegen die Zeit: gegen Bürokratie und Roboterwesen, gegen Sensationsmache und gegen den Terror der öffentlichen Meinung. Das wird an einem jungen, sympathischen, aber recht impulsiven Ehepaar demonstriert, die sich, kurz entschlossen, scheiden lassen wollen, aber noch rechtzeitig ihre echten Gefühle füreinander entdecken. Der künstliche, vom „Konzern für weltweite Angelegenheiten“ gelieferte „Scheidungsgrund“, der „schöne Hermann“, ist nämlich nicht nur schön, sondern auch gefühlvoll und zu weich für seinen harten Beruf. So bliebe also alles beim guten Alten, wenn sich nicht Baron d'Houdoux, der Präsident des Konzerns mit dem hochtrabenden Titel, einschaltete, der das junge Ehepaar (Laura und Eduard) engagierte, die nun, gewissermaßen zur Strafe, jeden Abend im Variete ihre bewegte Geschichte spielen müssen: er wirft nach seinem vermutlichen Rivalen mit der kostbaren Venusstatue aus dem Museum, und sie muß sich immer wieder mit dem „schönen Her-,mann“ überraschen lassen. Den Nutzen und den Spaß an der Affäre hat die sensationshungrige Oeffentlichkeit, die eben „Neues vom Tage“ verlangt und dies von der Reporterin, Frau Pick, geliefert bekommt.

Nun hat Hindemith den Text überarbeitet, vor allem ein wenig aktualisiert, und kleine Veränderungen vorgenommen. Die Musik zeigt jene Auflockerung nach dem Figural-Spielerischen hin, von der Heinrich Strobel in seinem Hindemith-Buch spricht. Die 28 Nummern mit Soli, Couplets und Chören sind mit größter Feinheit und Dc.enz hingesetzt und lassen vor allem jene „Schärfe der vokalen Diktion“ vermissen, durch die zum Beispiel das „Lehrstück“ charakterisiert war. Nur in der Parodie auf die große Oper und ihren Duettkitsch (in der Szene im Museum, wo Laura und Hermann eine Liebesszene üben und dabei so schön singen wie Tristan und Tosca in „Tiefland“), in einem richtigen Schlager im zweiten Teil und in den Tanzeinlagen der Varieteszene werden kräftigere Töne angeschlagen, sehr zum Vorteil der Gesamtwirkung.

Erich Bormann inszenierte in der Volksoper durchaus im Stil einer „lustigen Oper“. Das Positivste

und Erfreulichste an der Aufführung waren die heiteren und farbigen Szenenbilder des Tirolers Lois Egg in der Manier eines falschen Picasso oder Kan-dinsky. Ueber den grellen Plakaten, Stahlgerüsten und fragmentarischen Kulissen lief eine Leuchtschrift, die das Unsinnigste, aber Neueste vom Tage verkündete. Die Kostüme von A. M. Schlesinger waren vielleicht etwas zu knallig, das Varieteballett und die Clownsnummer einfallsreich und witzig (Dia Luca). Leider waren von den drei Hauptrollenträgern (Esther Rethy als Laura, Hans Braun — Eduard und Max Lichtegg — Hermann) nur der letztere ganz seiner Partie entsprechend. Das Premierenpublikum hat sich sehr gut unterhalten und den Komponisten am Pult lebhaft gefeiert.

*

Die Konzertwoche stand im Zeichen zweier Pianisten: eines bereits berühmten und eines bisher unbekannten, der vielleicht einmal berühmt werden wird. Shura Cherkassky, russischer Abstammung und in Amerika lebend — klein, von gedrungenem, athletischem Wuchs —, ist einer der faszinierendsten Pianisten, die wir kennen. Sein temperamentvolles, spannungsgeladenes und dynamisch heftiges Spiel wirkt niemals ungezügelt, Man begreift, daß Cherkassky sich zu Ptokofieffs 3. Klavierkonzert hingezogen fühlt, in dem sich — gemischt aus rüdem Klassizismus und grimassieren-den romantischen Gesten — der Eigenstil des Komponisten erst zu formen beginnt. Cherkassky spielte den bravourösen Solopart auf einem harten, glasklaren Steinway, begleitet von den Symphonikern unter Rudolf Moralt im Großen Musikvereinssaal. — Das Programm seines Soloabends enthielt Werke von Liszt, Schubert, Chopin (12 Etüden, op. 25) und die 3. Sonate von Paul Hindemith. die sich der Vortragsart von Cherkassky zu widersetzen schien.

Mit dem gleichen Werk beschloß der junge (22jährige) Linzer Hans Petermandl seinen Klavierabend im Mozart-Saal, der ausschließlich Paul Hindemith gewidmet war. Ein dreifaches Bravo für den jungen Künstler, der in den zwölf Fugen und Interludien von Hindemiths „L u d u s t o n a 1 i s“ ein erstaunliches Gedächtnis und hohe Musikalität, in der enorm schwierigen „Suite für Klavier 1922“ brillante Technik zeigte.

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