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OPFER - GNADE

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Da sehe ich einen alten Herrn fast beschwingten Schrittes in den Park hineingehen. Ist es der Frühlingstag, der ihn so bewegt? Der alte Herr, da geht er vor sich hin und denkt: „Heute ist ein schöner Tag, da werden sie wohl alle da sein“; und er nimmt den Weg zu den Tischen im Park, an denen, eifrig Karten spielend, Pensionisten sitzen, von ebenso eifrigen Zuschauern umgeben. Der alte Herr, er ist eigentlich kein Zuschauer des Kartenspiels, aber tief interessiert betrachtet er die Kartenspieler, weil es für ihn so beruhigend ist, diese vom Kartenspielen ganz erfaßten Menschen, weggeleitet vom Zwicken und Zwacken der Täglichkeit zu sehen.

„Ja die Täglichkeit... Sollte vielleicht auch ich Kartenspielen? Hab's nie getan, kann mich aber erinnern, im Elternhaus am Sonntag, an den triumphalen Ausruf „Pagat Ultimo!“ Ich hab' andere Spiele gespielt... Spiele? Werkann schon — spielen? Nur wenigen ist es gegeben, denn: wahrhaft Spielen ist ein Tun, ein Zuhausesein im Wunder der Heiterkeit; da braucht man keine Ausweichstelle wie das Kartenspielen. Doch es ist gut, daß es solche Ausweichstellen gibt... Komisch aber, Frau seh' ich keine einzige bei den Kartenspielern. Sind sie vielleicht natürlicher zu Hause im Leben der Täglichkeit als die Männer?

So sinnierend geht er durch den Park, allmählich sich einlebend in die Täglichkeit, die ihm in den letzten Tagen auseinander zu fallen schien.

„Ja, die letzten Tage... Werde ich diesem Erlebnis, das mich so angegangen, zu Recht standhalten?“ Und er schaut nach oben, sieht die beblätterten Bäume und denkt: „Die Blätter, da sind sie wieder, umzittern, umhüllen die Zweige, die ich im vergangenen Winter, das erstemal vielleicht, so wunderbar — nackt gesehen, als Himmelsschrift empfunden hab'... Himmelsschrift... Welch ein Trost war sie mir, der ich den letzten Weg nun, nackt, allen Schmuckes beraubt, gehen muß... Diese nackten Zweiglein, die mich mahnten, dem was mich hart angehen soll, nicht auszuweichen, zu stehen der Nacktheit, die zum Himmel strebt.“

Und wieder ist er, wie in den letzten Tagen, hart angegangen von einem Bericht: von einem Heiligen, der nicht im Kalender steht. Er erzählt von einem Lehrer in Polen, dem die Nazis befohlen hatten, die jüdischen Kinder seiner Klasse an den Ort der Gaskammern zu bringen. Und was er auch wider diesen Befehl getan hätte, den Kindern wäre es keine Hilfe gewesen. So ging er, zusammen mit ihnen, in die Gaskammer, in den Tod!

Der alte Herr, da steht er, fassungslos, preisgegeben dem Ereignis... „Oh, Licht, Licht!“ ruft er sich zu. „Wie konnte ich das Dunkle nur sehen in diesem hohen Opfer. Danken, danken sollen wir, daß es — einen gegeben, der die armen Kinder nicht allein ließ, und so wandelte das Dunkle zum — Licht!“

Stille ist es um den alten Herrn; zutiefst erschüttert ist er, herausgehoben aus der Wirklichkeit und erlebt zum ersten- / mal die Gnade des wahren Betenkönnens in Seligkeit. So bemerkt er nicht diese, die um ihn herum stehen, als er ausruft: „Oh, Begnadeter! Du Auserwählter zum hohen Opfer... Du hast es getan für uns alle... Und wenn es einer nur tut, ist noch Hoffnung für uns Armselige. Hoher Bruder, ich verstehe: nicht viele können der Gnade des Sichopferns teilhaft werden, nur diese, die die — Liebe sprengt. Sie können liebend leiden und so nahe kommen dem Schöpfer!“

Allmählich weicht die Benommenheit von ihm, er kommt wieder zu sich, die Stille löst sich auf, ein Hunderl bellt und bellt. Der alte Herr sieht um sich, sieht die vielen Neugierigen und geht still an ihnen vorbei, seinen Weg nach Haus.

Einer folgt ihm und sagt. „Von oben wurdest du angerufen. Was wirst du jetzt tun nach solch einem Erlebnis?“

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