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Ostergang über das Feld

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Meiner sechsjährigen Nichte hatte ich versprochen, daß ich mit ihr nach Emaus gehen würde. Sie wußte nicht, daß man sagt,. man gehe • nach Emaus, wenn man am Ostermontag, da das Evangelium von den Emausjüngern gelesen wird, übers Feld geht. Sie machte sich ganz phantastische Vorstellungen und ich ließ sie dabei.

Am Vormittag des Ostermontags kam sie mit leuchtenden Augen.

„Gehen wir jetzt nach Emaus?“

„Bald, am Nachmittag“, anwortete ich.

Nach dem Essen war sie nicht mehr zu halten. Wir gingen in den Garten und suchten nach den Nestern des Osterhasen. Bei den Primeln fand sie das erste rote Ei, bei den Veilchen lag ein blaues, beim Krokus lag ein Schokolade-Ei. Was sie nicht unterbringen konnte, steckte ich in die Tasche, sie bettelte noch, daß der Hund mitgehen dürfe, was mir nicht behagte, weil die Emausjünger ja auch ohne Hund gingen, zumindest ist nichts davon berichtet. Aber um ihr nicht die Freude zu nehmen, ließ ich Moab mitlaufen. Am Ende des Gartens traten wir durchs Hintertürl aufs freie Feld hinaus, Moab als erster, und schon hatte er auch die Nase auf der Spur eines Osterhasen, dem er die beschauliche Feiertagsruhe verdarb. Eva hängte sich an meinen Arm und fragte:

„Wo ist Emaus?“

„Dort“, sagte ich und wies nach Osten. Die Sonne stand hinter einem ganz dünnen Schleier, ein Wind blies uns ins Gesicht, aber es war milde, Frühling. Der Feldweg war trocken, die Halme der Wintersaat leuchteten in junger Frische, Osterhasen hopsten feierlich herum und machten Männchen, bis Moab sie bemerkte, dann zogen sie die Köpfe ein und sausten fort, er hinter ihnen drein.

„Jetzt sag mir das Geheimnis von Emaus.“

Ich begann von Ostern zu erzählen, wie die zwei Jünger von Jerusalem heimgingen und von Jesus Tod sprachen, wie ein Wanderer zu ihnen stieß und alles erklärte, ohne daß sie ihn erkannten. Wie sie vor ihrem Hause stehen blieben und den Unbekannten baten: „Herr, bleib bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich schon geneiget.“ Wie er mit ihnen aß und wie sie ihn am Brotbrechen erkannten.

Sie hörte sich die Erzählung, die ihr noch unbekannt war, interessiert an und sagte, ich habe ihr doch versprochen, daß wir nach Emaus gehen würden.

„Ja, siehst du, wir gehen jetzt auch übers Feld wie die beiden Jünger und es ist ein Ostertag wie damals, wir reden auch von Jesus und lieben ihn. Und da geht er unsichtbar mit uns, das heißt man nach Emaus gehen.“

Sie überlegte eine Weile, dann sagte sie:

„Warum läßt er sich nicht sehen? Ich möchte ihn so gerne sehen. Er könnte es doch, nicht? Wenn jetzt plötzlich jemand neben uns ginge, das wäre er selber, gelt, und ich würde ihn gleich erkennen.“

Dabei sah. sie sich in der weiten Ebene um. Aber es war niemand zu sehen. Moab verfolgte atemlos eine Spur, eine Lerche stieg trillernd vor uns auf, die Schleier waren vor der Sonne gewichen, und es war wärmer geworden.

„Hast du Jesus sehr gerne?“ fragte sie mich unvermittelt.

„Freilich.“

„Ich auch. Sehr gerne. Wenn er wirklich käme. Du würdest dann die Gartentüre aufmachen und ich würde sagen: .Herr, bleib bei uns. ..', wie geht es weiter?“

„Herr, bleib bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget.“

Wir gingen eine Weile schweigend und dachten über das Emausgeheimnis nach. Dann erreichten wir eine schöne Kapelle, welche mitten auf dem Feld steht. Wir setzten uns in den Windschatten, auch Moab kam keuchend herbei und legte sich zu uns. Wir schlugen die Eier auf, blätterten die roten Schalen ab und aßen.

„Jetzt müßte er bei uns sein“, sagte Eva.

„Schau“, antwortete ich, .,solange ihn die Jünger nicht erkannten, sahen sie ihn, als sie ihn erkannt hatten, verschwand er. So ist er auch bei uns, nur sehen wir ihn nicht“.

Eva litt unter der unsichtbaren Gegenwart, das war nicht zu verkennen. Sie wollte nicht nur glauben, sie wollte auch sehen. Ein wenig gab ich ihr in meinem Herzen recht. Einmal ihn sehen zu dürfen, wie die Jünger ihn sahen, einmal seine Stimme zu hören, ein Stückchen nur mit ihm über die heilige Ostererde gehen zu dürfen, welch eine Seligkeit wäre das! Aber vielleicht soll es so sein, daß wir zeitlebens nur Sehnsucht nach ihm haben und dann, wenn sie groß genug geworden, ihm begegnen, von Antlitz zu Antlitz.

Auf dem Heimweg lief Moab nicht mehr fort von uns. Wir begegneten einem Bauern, der nach den Saaten schauen ging. Lerchen stiegen weiter jubelnd in den Osterhimmel auf und seliger Friede lag über der Erde.

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