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"Die bekannte Welt" im Roman des Pulitzerpreisträgers Edward P. Jones ist so bekannt nicht.

Moses war der erste Sklave, den Henry Townsend erworben hatte: "$ 325 und ein Übereignungsvertrag von William Robbins, einem Weißen. Moses brauchte mehr als zwei Wochen, bis er begriffen hatte, dass niemand einen Scherz mit ihm trieb und dass es in der Tat ein Schwarzer war, zwei Schattierungen dunkler als er, der ihn mitsamt dem Schatten, den er warf, in Besitz genommen hatte."

Auch das gab es

Virginia, Lousiana, South Carolina, Mitte des 19. Jahrhunderts: Schwarze halten sich schwarze Sklaven! Diese historisch belegte Ungeheuerlichkeit erzählt Edward P. Jones in seinem faszinierenden Romandebüt "Die bekannte Welt", für das er 2004 den Pulitzerpreis erhielt. Jones entwarf dafür Manchester County, angeblich inzwischen von der Landkarte Virginias verschwunden, "ein Bezirk mit 2191 Sklaven, 142 freigelassenen Negern, 939 Weißen und 136 Indianern, die meisten von ihnen Cherokee, mit ein paar vereinzelten Choktaw". Fiktiv sind auch die literarischen Gestalten, die dennoch glaubwürdig ein Stück amerikanische Geschichte erzählen.

Der Roman beginnt im Juli 1855, mit dem Tod des schwarzen 31-jährigen Sklavenhalters, Henry Townsend, der seiner Frau eine Handvoll Sklaven hinterlässt und die Gewissheit, Henry hätte das Beste getan, das er konnte, und am jüngsten Tag würden seine Sklaven dieses Faktum auch bezeugen. Nur: der Erzähler weiß es besser und lenkt im Vorbeigehen den Blick auf ein Kind, das sich auf den Feldern seines Besitzers zu Tode arbeitet, und auf eine Frau, die ebendort eine Fehlgeburt erleidet.

Unterdrücker, Unterdrückte

Diese Sklaven, die Witwe, die Eltern Henrys, Sklavenbesitzer und -treiber und viele andere - sie werden am Ende des Buches aufgelistet - bevölkern diesen Roman, der sich auf keine Hauptfigur festlegt, sondern von Person zu Person wandert: von den Unterdrückern zu den Unterdrückten; von den Freigekauften zu den noch Versklavten und zu den wieder Versklavten; von den Verstümmelten und denen, die billiger sind, weil nicht ganz gesund, zu denen, die den entlaufenen Besitz zurückbringen, und denen, die ihn versichern gegen mögliche Schadensfälle durch Arbeitsunfälle; von den mit einem Schnitt in die Achillessehnen fürs Weglaufen oder mit abgeschnittenen Ohren für Ungehorsam Bestraften zu den mit Strafe Bedrohten: "Wenn du mich hintergehst, kriegst du, was dieser Nigger Fred gekriegt hat. Dann werf ich deinen verdammten Kadaver den Schweinen vor.' Das stimmte nicht ganz - Schweine fraßen zwar alles, aber selbst in Virginia würden die Schweine niemals Menschen fressen."

In diesem Virginia also lebt Augustus Townsend, der einst sich und seine Frau Mildred freigekauft hat, und - als er es sich leisten konnte - auch Sohn Henry. Freigekauft von jenem Mann, der später Henry zu seinen eigenen Sklaven verhilft. Henry, der im System mitmacht, möchte zum Entsetzen seiner Eltern ein Master sein, ein besserer. "Er begriff nicht, dass die Welt, die er schaffen wollte, zum Untergang verurteilt war, noch ehe er die erste Silbe des Wortes Master' ausgesprochen hatte."

Dann gibt es da Aufseher Moses, der aufgrund seines Verhältnisses mit Henrys Witwe auf seinen Aufstieg hofft und seine Frau Priscilla dafür opfert. Oder William Robbins, den ehemaligen Besitzer Henrys, der eine schwarze Frau und die gemeinsamen Kinder über alles liebt und dennoch mit dem unmenschlichen System nicht bricht ...

Rechtssystem des Unrechts

Auch zeitlich schwenkt der Roman viel hin und her, holt über Jahrzehnte aus und erzählt in vielen Vor- und Rückblenden ein gewaltiges Stück einer unbekannten Welt, die Jahrzehnte eines durch und durch ungerechten Systems umfasst, gestützt durch das Recht. Ein System, gegen das man sich auch als Weißer nicht so leicht stellen konnte: "Es sollte einem Mann möglich sein, zu sagen, was ist, ohne dass jemand ihm vorwirft, auf der Seite der Nigger zu stehen."

Ein System, das sogar bei seinem Auseinanderbrechen noch an der Unmenschlichkeit festhält und Menschenleben kostet, bis zuletzt. Denn am Ende wird der lange schon freigekaufte Augustus wieder - unrechtmäßig! - verkauft.

"Ich habe dir doch gesagt, du sollst stehenbleiben, verdammt! Nigger, ich wollte doch nur, dass du stehen bleibst.'

Augustus hörte ihn und wollte sagen, dass dies die größte Lüge war, die er je in seinem Leben gehört hatte, aber er lag im Sterben, und Worte waren kostbar."

Angeblich hat der Autor für dieses Opus kaum recherchiert, dafür hat er umso mehr erfunden und auch in der Form des Romans das 19. Jahrhundert aufleben lassen, so etwa in den Kapitelüberschriften. Erinnerungen an William Faulkner werden wach, aber auch an Toni Morrison, ebenfalls Pulitzerpreisträgerin: der Fokus auf vergessene und verdrängte Geschichte der schwarzen Sklaven gehört dazu ebenso wie die Erzähltechnik der Vor- und Rückblenden. Doch der Ton von Edward P. Jones (übersetzt von Hans Christian Oeser) braucht die Vergleiche nicht zu scheuen:

Entmutigter Kuss

"Als Augustus Townsend starb, in Georgia, nahe der Grenze zu Florida, schwebte er aus dem Stall, in dem er gelegen hatte, über die Bäume, das verfallene Räucherhaus und das nahe Wohnhäuschen hinweg und eilte raschen Schrittes von dannen, in Richtung Virginia. {...} Augustus ging nach oben und fand Mildred schlafend in ihrem Bett. {...} Dann trat er ans Bett, beugte sich über sie und küsste ihre linke Brust.

Der Kuß drang durch die Brust, durch Haut und Fleisch, hindurch und kam zum Brustkorb, der ihr Herz schützte. Nun führte dieser Kuß, wie so viele Küsse, zwar alle möglichen Schlüssel mit, war aber, wie so viele Küsse, vergeßlich und konnte nicht den richtigen Schlüssel für ihren Brustkorb finden. Am Ende war der Kuß so entmutigt und verzweifelt, daß er sich durch die Rippen zwängte und Mildreds Herz küsste. Sie erwachte sogleich und wußte, daß ihr Mann für immer gegangen war. Ihr Atem verließ sie und sie wurde von einem solchen Schmerz ergriffen, daß sie aufsprang. Das Zimmer und das Haus waren jedoch nicht groß genug, um ihren Schmerz zu fassen, und sie stolperte aus dem Zimmer die Treppe hinunter und zur Tür hinaus, die Augustus, wie üblich, offengelassen hatte. Der Hund blickte ihr von seinem Platz am Kamin nach. Erst als sie vor dem Haus stand, konnte sie wieder Atem schöpfen. Und der Atem brachte Tränen. In ihrem Nachthemd sank sie mitten auf dem Hof in die Knie, etwas das Augustus sicher nicht gebilligt hätte.

Augustus starb am Mittwoch."

Die bekannte Welt

Roman von Edward P. Jones. Aus d. Amerikan. v. Hans-Christian Oeser

Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg 2005. 447 Seiten, geb., e 22,70

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