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Tiefenbachers neuer Antiprovinzroman

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Es nicht allzu ernst zu nehmen, sondern locker, und lieber lachen als sich anscheißen” ist der Rat Andreas Tiefenbachers an allenfalls Betroffene, wenn sie seinen Roman „Herzkot” lesen. Es ist der zweite Roman Tiefenbachers (geboren 1961 in Bad Ischl) nach „Der Möcht-ler” (1995), und diesem eng verwandt.

Ernst zu nehmen ist einiges an diesem weiteren „Stück Heimatliteratur” (Klappentext). Das Dutzend Menschenschicksale einer Arbeiterfamilie, die seit drei Generationen im obern Trauntal'siedelt. Die reichliche Bekanntschaft, die Dorfgrößen, der Kommunist, der Lehrer, die Originale. Glaubhaft sind die Figuren und auch die vom Krieg gerissnen Lücken in den Ahnenreihen, die gerade durch ihr Abwesen in den Enkeln weiterwirken.

Ernst und sympathisch ist wieder die Hauptfigur, die diesmal „der Konrad” heißt und sich im Buch vom Vorschüler zum Pubertierenden entwickelt. Von der dominanten Mutter unterdrückt, von der Oma überfüttert, vom „Rad des Spotts” der Dorfbuben überfahren, scheidet die gequetschte Seele „Herzkot” aus, der sich als „Kruste um das Feingefühl” verhärtet und den Buben schweigsam macht. Die Enge treibt ihn in Aggressionen außerhaus: Ein kleines Mädchen kommt am Marterpfahl grad noch davon, im Bandenkrieg blitzen die Messer, auf Kurgäste wird ein echter Mordanschlag verübt. Die Gedankenprotokolle dazu würden jedem Gericht begreiflich machen, wie so ein Jugendlicher aus scheinbar geordneten Verhältnissen plötzlich ins Kriminelle schlägt: er ist, mitten in seiner Heimat, als Fremder aufgewachsen.

Emst und gar nicht zum Lachen ist auch, wie Pubertät in dieser Unhei-mat nicht vorgesehen ist: Die Mutter gibt ihre Verkorkstheit, der Stief-Großvater seine Pornoheftin an den Buben weiter, als wäre nichts anderes gefordert. Um seine Männlichkeit zu beweisen, leert der bald 16-Jährige schließlich seine erste Halbe Bier. Die Umständlichkeit, mit der er dazu mehr als ein Buchdrittel braucht, ist jedoch nicht dem Buben, sondern dem Erzähler anzulasten.

Den nun muß man wirklich locker nehmen. Der Leser wird zunehmend ungehalten gegen diesen allzeit präsenten Gängler, der mit zu klugen Re-flexionen über den Kopf seines Konrad hinweg, zum Leser hin, seinen Zögling ebenso entmündigt wie die penetrante Mutter: „Selbst fiel ihm das natürlich nicht auf. Er war noch zu jung...” Der Junge ist ohnehin ausgeliefert an all das trivial-urig Erzählte um ihn her: Bierphilosophie über die Wahrheit und das Leben, Kaffegeplauder über Zauner-Torten, kollektiv-Unverdautes aus der Nazizeit. Ab Buchmitte spätestens möchte man dieses Erzähler-Über-Ich hinzurechnen zu dieser Heimat, „die jeden früher oder später vertreibt auf Nimmerwiedersehen ”.

Tiefenbacher wählt durchweg Redesprache, ein Gemisch aus Dialekt, Schriftdeutsch, Schülerjargon,

Sprichwörtern, Zeitungsplatt. Aus ihr spricht das Dilemma der verlornen Heimat zwischen eigner Tradition und hergeholter Bildung. Dialekt und Schriftsprache verkanten sich. So sprechen Leute vom Land, wenn sie im Sonntagsanzug Reden halten. Reden sie so gespreizt, weil ihnen eine eigne Sprache fehlt, oder sprechen sie so linkisch wie sie denken?

Der Bub scheidet zur Abwehr „Sprachkot” aus. Ähnlich unsicher ist die Bildersprache: schöne passende Metaphern, aber auch viele befremdliche. Sonnenuntergangspoesie, in Postkartenmanier um einen Skisturz rumgemalt, kennzeichnet die „futsche” Heimat. Eine im Grund gehaßte Heimat, mehr schädigend als schützend, wie bei Thomas Bernhard. Wer's anders sieht, darf sich ans Eingangsmotto halten.

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