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ÜBER DIE NATUR

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Noch bevor ich in die Volksschule kam, führte mich mein Großvater in das Naturhistorische Museum und zeigte dem staunenden Kind die ausgestopften Tiere und Vögel. Den Löwen, den Tiger, den Panther, die ich in Schönbrunn lebendig gesehen, konnte ich nun, da sie sich nicht bewegten, genau betrachten, und so den Adler, der sich von den Menschen wegwendet, und viele andere, noch nicht erblickte Geschöpfe durfte ich bewundern. Seither bin ich nur selten in das Naturhistorische Museum gegangen, weil mich das Kunsthistorische zu sehr anzog. Aber jetzt, da ich selbst im Alter meines Großvaters stehe, habe ich es wieder aufgesucht, und da nur wenige Säle neugestaltet, viele leer oder geschlossen sind, konnte ich vor den Vitrinen länger verweilen. Hatte ich, was heute ausgestellt ist, damals nicht gut genug wahrgenommen, oder ist mir der Sinn für die Schöpfungen der Natur erzogen worden? Ich mußte wiederkommen, und es sind mir beim Schauen und Nachdenken Einsichten eingegeben worden, die ich weiterreichen möchte, auch auf die Gefahr hin, daß es dichterische Gedanken und Ahnungen sind, die der Kenner der Natur ablehnen mag, weil sie wissenschaftlich durch nichts gestützt werden können.

Hat man die Säle durchschritten, so ist man der nämlichen Dualität und Antithetik innegeworden, die in den Mythen, der Philosophie und der Kunst das unerschöpfliche Problem bleibt. Das Furchtbare und das Schöne, das Grausame und das Liebliche hat sich uns gewiesen, und wir müssen beides auf den einen Schöpfer zurückleiten, der sonach mit dem Gott des Alten Testaments widerspruchslos vereinbar wäre. Der des Neuen Testaments, der nicht mehr „Herr“, sondern „Vater“ angesprochen wird, der die Liebe ist, kann mit dem, was in der Schöpfung erschreckt, minder leicht in Einklang zu bringen sein. Daß dieser liebende Gott die schönen Gestalten hervorgerufen hat, so etwas Wunderbares wie die Seelilie oder die fächerförmige westindische Gorgonia oder die Edelsteine in den Bergschächten, wer wollte das nicht freudig glauben? Wer aber schuf den Hai, den Kraken, die japanische Riesenkrabbe? Und wer schuf die ungeheuren Saurier, die sich freilich nur von Pflanzen nährten, doch die Gestalt des Drachen haben? Den Dinosaurier Diplodocus, dessen erhaltenes Skelett Andrew Carnögie dem Kaiser Franz Töseph; schenkte, mit einem Blick unübersehbare Länge viele Meter beträgt — wohl, Gott muß ihn erschaffen häben. Wie aber schafft Gott? In seinem Geist, und was er ersinnt, ahnen wir als Ideen, wie sie Platon als Erster geahnt hat, wohingegen es das Geschäft der Engel zu sein scheint, die Geistgebilde zu verirdischen. Anders wäre das Künstlerische in der Natur nicht deutbar, wenn es nicht durch Hände ausgeführt wäre. Und sofern es erlaubt ist, einem so kühnen Gedanken weiter zu folgen, was läge näher als anzunehmen, daß die furchteinflößenden Wesen von den später gestürzten, die schönen hinwieder von den treuen Dienern des Herrn gebildet worden seien?

Die Saurier sind ausgestorben. Wie kann aussterben, was Gott geschaffen hat? Er ist ja der Gott des Lebens, nicht des Todes. Sollten die fleischfressenden Tiere den pflanzenfressenden an Kraft so überlegen gewesen sein, daß diese — wie klein waren die Köpfe der Saurier! — den gewaltigeren Feinden erlagen? Oder hat der Schöpfer sie zurückgenommen? Zweimal ja wird im Alten Testament gesagt, daß es Gott gereut hat, den Menschen erschaffen zu haben, zweimal auch, daß er sich von den Gebeten frommer Männer bewegen ließ und seinen Entschluß, alles Leben zu vernichten, aufhob. Stets wieder stiftet Gott einen neuen Bund mit dem unänderbaren Menschen. Tiere und Pflanzen aber erhält er nicht. Wären nicht der Steinbock und die Ulme ausgestorben, wenn sie der Mensch nicht gerettet hätte? Die Saurier freilich lebten lange vor dem Menschen. Der Schöpfer mag wie der sterbliche Künstler unzufrieden mit seinem Werk sein und es heimholen in seinen Geist: Dennoch blieben Spuren der Werke bewahrt, so daß der Mensch Urgedanken Gottes betrachtet und aus ihnen lernen kann, daß er vom Anfang her vielleicht noch nicht mitgeplant gewesen sein mochte. Hier nun scheint es geboten, das eigenmächtige Nachdenken abzubrechen und es bei der Ahnung bewenden zu lassen, die dem Dichter besser ziemt als die Behauptung.

Die Tiefsee, die so Grauenhaftes in sich birgt, das Wunderbare hat sie auch offenbart. Und so schauen wir entzückt die schönen Haarsterne, die Glasschwämme, die Korallen, darunter die herrliche Kronenkoralle, die Blumentiere, die Perlmuscheln. Vollends, wenn wir in die unteren Säle hinabsteigen, wie beglückt uns da die Erdentiefe mit Edelsteinen und Kristallen! Die Edelsteine werden zur Zierde ausgewählt, die Kristalle des Salzes aber zur Nahrung gebraucht, und vielleicht ist selbst der Bergkristall nicht edler geformt als der des Salzes aus unseren einstigen Bergwerken von Wieliczka. „Die Natur hat Kunstinstinkt“, bemerkte Novalis; es ist aber mehr als bloß Instinkt, was die Muster und Hieroglyphen auf den Flügeldecken der Schmetterlinge und der Käfer, die Wellenlinien an Fischleibern, die Farben der Vögel und Blumen, die Kompositionen in allen Reichen der Natur hervorbrachte. Sollten wir es nochmals wagen, an die Hände der Engel zu denken, die nicht ganz vollkommen zeichneten und malten, was im Geist der Gottheit als Urbild lebt? Und auch das Furchtbare ist nicht ohne Schönheit geblieben, denn die gestürzten Engel waren eben damals noch Engel. Das Unendliche hat sich im Endlichen manifestiert, denn alles ist auch hier unendlich, die Sonnensysteme wie die Mückenschwärme und Grassamen. Reinhold Schneider wurde am Glauben fast irre, weil seine Phantasie die Überfülle der Gestirne mit der Vorstellung eines einzigen Schöpfers nicht zu erklären vermochte: - als ob nicht alles Geschaffene, und sei es das geringste, nur in der Überfülle von der unendlichen Gottheit herrühren könnte. Im Gegen-

„Gib her!“ sagt er, „ich esse ihn auf!“

Und er fraß tatsächlich den Kuchen, dies freche Schwein! Für mein teures Geld!

Wir setzten uns wieder in den Zuschauerraum. Sahen die Oper zu Ende. Und gingen nach Hause.

Vor unserem Hause aber sagt sie zu mir: „Das war schon eine ganz große Gemeinheit von Ihnen! Wer kein Geld hat“, sagt sie, „geht nicht mit Damen aus! Merken Sie sich’s!“

Ich aber sage: „Nicht im Geide liegt das Glück, Genossin! Entschuldigen Sie schon!“

So sind wir denn auch auseinandergegangen. Ach, ich kann diese Frauen mit Hüten, diese Aristokratinnen, nicht leiden.

teil hätte er in solcher Unendlichkeit das Wesen des Schöpfers, den Beweis für sein Dasein, ergründen müssen.

„Goethe betrachtet die Natur wie eine Antike“, heißt es in den Fragmenten des Jünglings Novalis. „Denn ist die Natur etwas anderes als eine lebendige Antike?“ Das ist ein tiefsinniges Wort. Es rechtfertigt das Aufzeichnen und Sammeln jedes Geschöpfes der Natur, dessen Alter in verschiedene Zeiten zurückreicht, das aber, es sei früher oder später auf Erden erschienen, aus dem einen Geist stammt, durch den wir leben, wesen und sind.

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