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Beim Antiquar

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Ich will nicht behaupten, Freunde, daß ich die Hälfte meines Lebens auf den Bücherleitern der Antiquare zugebracht habe. Als junger Student aber kam ich manchmal, das Haar so von Staub überraucht, aus dem Buchladen, daß die Leute mich anblickten wie einen, der vor der Zeit grau geworden ist. Welch schöner trügerischer Schein! Und wie wunderbar, daß dort, wo man die Zeit vergißt, die Stunde nicht vergeht.

Heute führte der Weg mich wieder in ein Antiquariat. Noch mehr Staub, so schien mir nicht nur, hatte sich hier angesammelt, doch ein Tröstliches, Freunde, sollte auf midi zukommen. Denn ein junger Mensch, ein Student wohl, wie ich es einmal war, nicht gerade gesegnet mit den Gütern dieser Erde, entdeckte zwischen dem Staub in den Regalen ein Wort. Als wäre er allein in dem Raume, sprach er sich das Wort leise vor, und während ich daran dachte, wie oft ich früher beinahe bewegten Herzens Abschied von einem Buche nahm, weil mir die klingende Münze fehlte, trat der junge Mensch mit dem aufgeschlagenen Bändchen auf den Antiquar zu und bemerkte; „Wenn ich nächstes Mal wieder komme, wird es vielleicht nicht mehr da sein.“

Der Antiquar, als hätte er nicht verstanden, entgegnete: „Ist ein schönes Wort nicht immer da?“

Der junge Mensch schloß das Buch langsam und legte es auf den Tisch. Und die Blicke darauf gerichtet, erklärte er: „Es ist wohl da, aber nicht zugegen, man hat es nicht, wenn man danach greifen will: wenn man sich nach ihm sehnt wie nach einem lieben Menschen, der unerreichbar ist. Genügt es, an den Menschen zu denken, zu wissen, daß auch er In Gedanken bei mir ist? Oder ist es nicht ein Schöneres, Lieberes, Beglückenderes, daß der Mensch, wenn man ihn ruft oder bei ihm anklopft, da ist: daß er mich anblickt, mich streift mit seinem Atem! Das ist es. Ich komme wieder vorbei, ich weiß nur noch nicht, wann. Ob sie mir das Buch aufheben?"

Er nahm es noch einmal in die Hände und fühlte über Deckel und Rücken.

Er wollte gehen. Da geschah es, daß der Antiquar sich über den Tisch beugte und meinte: „Ich kann es Ihnen nicht versprechen, ob das Buch auf Sie wartet. Es könnte nämlich sein, daß sich noch jemand findet, der so denkt wie Sie und der auch den Groschen gleich mit hat. Deshalb ist es schon besser, Sie stecken sich das Buch ein. Wenn Sie einmal ein reicher Mann geworden sind und ich arm gestorben bin, denken Sie an das Wort, das mein Vater an die Wand drüben schreiben ließ.“

Und an der Wand, zwar nicht mehr leicht zu lesen, weil die Linien nicht nachgezogen waren, hieß es:

Ich liebe das Buch. Es ist mir Besuch des besten Freunds, den ich hab. Still lächelnden Munds unterhalten wir uns und holen auch Gott dazu ab.

Der junge Mensch, das Buch in der Hand, ging. Der Antiquar aber trat vor die Ladentür und nickte, als hätte er das schönste Geschäft des Tages getätigt.

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